Gnade deiner Seele: Psychothriller (German Edition)
und andere an. Deswegen hältst du dich nicht an Abmachungen. Du hast mit den Therapeuten darüber gesprochen, und mit mir. Ich weiß. Aber es ist an der Zeit, dass du erwachsen wirst. Du bist okay, so wie du bist. Mehr musst du nicht sein. Wer das nicht einsieht, wer dich nicht so nimmt, wie du bist … tja, den kannst du als Freund nicht gebrauchen.«
Willow zupfte an einem Faden an ihrem Ärmel. Bethany wusste, dass ihre Tochter nicht zuhörte. In diesem Alter erreichten einen die Eltern nicht. Trotzdem hegte Bethany die Hoffnung, sie würde erhört werden, wenn sie ihren Standpunkt nur oft genug wiederholte.
»Ich werde dein Handy konfiszieren – diesmal meine ich es ernst – und den Internetanschluss in deinem Zimmer kappen. Zukünftig werde ich dich zur Schule fahren und wieder abholen. Und du wirst dich in deiner Freizeit nicht mehr mit Jolie treffen.«
Willow riss die Augen auf.
»Sie ist meine einzige Freundin.«
»So eine Freundin brauchst du nicht.«
Bethany rechnete mit einem weiteren Wutausbruch, aber nichts passierte.
»Wie lange ohne Handy und Internet?«, fragte Willow.
»Mal sehen.« Bethany versuchte, ruhig zu bleiben. Sie wollte Willow begreiflich machen, dass es ihr diesmal wirklich ernst war. »Wenn ich dabei bin, darfst du hier im Wohnzimmer an den Computer, falls du für die Schule etwas recherchieren musst. Und du darfst selbstverständlich das Telefon benutzen.«
»Falls hier jemals einer anruft, meinst du.« Willow ließ den Kopf an Bethanys Knie sinken.
»Es tut mir leid, Mom«, wiederholte sie.
Bethany wehrte sich gegen den Gedanken, aber ehrlich gesagt hatte sie diese Worte schon viel zu oft aus Willows Mund gehört. Sie klangen hohl und unehrlich. Sie schwieg und streichelte Willows Kopf. Ihr Haar war so weich wie am Tag ihrer Geburt. Engelshaar , hatte Willows Vater gesagt. Und sie war wirklich ein Engel gewesen, eine pummelige, niedliche Putte. Alles war so viel einfacher gewesen, als sie klein war. Nur hatte das Bethany damals nicht gewusst.
»Ich möchte, dass du morgen mit Dr. Cooper redest, okay?«, fragte sie.
»Okay«, antwortete Willow.
»Willow?«
»Ja?«
»Wer war der Junge?«
Mit einem breiten Grinsen drehte Willow sich zu ihrer Mutter um. Bethany ging das Herz über. So hatte ihre Tochter seit Ewigkeiten nicht gelächelt. Fast stiegen Bethany Tränen in die Augen.
»Er heißt Cole. Ist er nicht irre süß?«
Bethany musste auch lächeln. Sie berührte Willows Wange. Als Willow klein war, kletterte sie nachts oft zu Bethany ins Bett. Sie legte sich auf ihre Mutter und presste ihr Ohr an Bethanys Brust. Mommy, ich kann dein Herz hören … Schlaf jetzt, Willow.
»Ja, wirklich«, sagte Bethany. »Wie alt ist er?«
»Keine Ahnung. Er geht auf die Junior High.«
»Und was habt ihr da draußen in Wirklichkeit gemacht?«
»Wir haben nach der alten Mine gesucht, von der du mir erzählt hast.«
Bethany hätte sich in den Hintern beißen können. Natürlich hätte sie Willow nichts davon erzählen dürfen.
»Weißt du, wie gefährlich diese alten Schächte sind, Willow? Die Leute verunglücken tödlich, werden dort lebendig begraben. Ich dachte, du hättest nach dem Erlebnis gestern genug von derlei Ausflügen.«
Sie hatte wirklich gedacht und sich mit dem Gedanken getröstet, dass Willow den Wald von nun an nie wieder betreten würde.
»Wir haben nichts gefunden«, sagte Willow, »ich konnte mich nicht mehr an die Stelle erinnern, wo ich ihn gesehen habe. Jolie dachte, ich hätte gelogen. Sie wurde wütend. Dabei habe ich die Wahrheit gesagt.«
»Vergiss Jolie. Was sie denkt, ist nicht von Bedeutung. Was die anderen denken, ist völlig egal.«
Willow verdrehte die Augen. Wieder einer dieser Sätze, mit denen Teenager nichts anfangen können. Für eine Jugendliche zählt nur , was die anderen denken. Und auch viele Erwachsene lernen die Lektion nie.
»Hör mal«, sagte Bethany, »wir müssen uns wirklich Gedanken um die Zukunft machen. Du musst dich auf die Schule konzentrieren und ich mich auf meine Arbeit. Irgendwann wirst du Freunde finden und dich einleben.«
»Was ist mit Cole? Was, wenn er mich anruft?«
»Dann sehen wir weiter. Okay? Sei einfach ehrlich zu mir, dann können wir gemeinsam eine Lösung finden.«
Er würde anrufen; Bethany wusste es. Er hatte Willow mit jenem dämlichen Gesichtsausdruck betrachtet, der so typisch für verliebte Jungs ist. Aber Bethany war fest entschlossen, Willow in der nächsten Zeit unter strengster
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