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Gnade deiner Seele: Psychothriller (German Edition)

Gnade deiner Seele: Psychothriller (German Edition)

Titel: Gnade deiner Seele: Psychothriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Unger
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hat ihre Familie sitzen lassen und ist mit einem Mann durchgebrannt.«
    Jones hörte hoch oben einen Rotkardinal singen. Der Vogel stieß einen Warnruf aus, eine Art Pss-pss , der die anderen Tiere verstummen und in Deckung gehen ließ. Er legte den Kopf in den Nacken und suchte das Laub nach einem roten Fleck ab, aber der Vogel versteckte sich gut. Hoch oben am Himmel zogen zwei Habichte ihre Kreise.
    »Ich weiß, dass wir uns damals unterhalten haben, Henry«, sagte Jones. »Du hast in der direkten Nachbarschaft gewohnt.«
    »Ja, das stimmt«, sagte Henry und verschränkte die Arme vor der Brust. »Wir haben uns sogar ziemlich lange unterhalten. Es war dein erster Fall.«
    »Damals gab es Gerüchte.«
    »Ja, ich weiß«, sagte Henry. Er schaute zu Boden, bohrte mit der Spitze seines braunen Herrenschuhs im Laub. »Aber Marla und ich waren nur Freunde, wenn überhaupt.«
    »Hilf mir auf die Sprünge.«
    Henry lächelte höflich, doch seine Augen blieben kalt.
    »Wir sind regelmäßig zusammen joggen gegangen. Eines Abends bin ich ihr auf der Straße begegnet. Sie lief vor mir her, knickte mit dem Fuß um und fiel hin. Ich habe ihr aufgeholfen und sie nach Hause begleitet, und seitdem waren wir befreundet. Wir sind abends gelaufen, wenn ihre Kinder im Bett waren und ihr Mann von der Arbeit zurück war.«
    »Und damit hatte Mack Holt kein Problem?«, fragte Jones.
    Zu Anfang seiner Ehe mit Maggie war Jones über das herzliche Verhältnis seiner Frau zu Henry Ivy nicht gerade erfreut gewesen. Maggie und Henry waren seit der High School die besten Freunde gewesen. Jones hatte keine weiblichen Bekannten und verstand nicht, warum Maggie Henry brauchte. Maggie hatte keinen Millimeter nachgegeben. Sie hatte gesagt: Ein Mann, der von einer Frau verlangt, sich von Freunden zu trennen, wird früher oder später verlangen, dass sie sich von wichtigen Aspekten ihrer selbst verabschiedet. Im Laufe der Jahre hatte Jones gelernt, die Freundschaften seiner Frau zu akzeptieren.
    Henry zuckte die Achseln.
    »Falls er ein Problem mit mir hatte, hat sie es nie erwähnt.«
    »Warst du in sie verliebt?«
    Henry verdrehte die Augen und lächelte müde.
    »Ach, komm schon, Jones. Sie war eine Wucht. Alle waren in Marla Holt verliebt. Und ich war damals wie alt … fünfundzwanzig? Ich hatte gerade erst als Lehrer an der Hollows High angefangen. Ich hatte kein Selbstvertrauen und noch weniger Geld. Sie war unantastbar. Ich konnte damals kaum glauben, dass sie überhaupt mit mir sprach.«
    Henry hatte sich in Bewegung gesetzt, Jones lief hinterher.
    »Hat sie sich dir je anvertraut?«
    »Inwiefern? Ob sie eine Affäre hatte, ob sie verschwinden wollte? Nein. Ich wollte sie am Donnerstagabend zum Joggen abholen. Ich klopfte an, aber sie sagte mir, ihr Mann sei noch nicht zu Hause und sie müsse sich um die Kleine kümmern. Wir haben noch ein paar Minuten lang geplaudert, dann bin ich gegangen.«
    »Ich kann mich an die Telefondaten erinnern. Sie wurde von der Schule aus angerufen.«
    Henry wurde rot. Jones konnte nicht einschätzen, ob es an der Anstrengung lag oder ob Henry sich schämte.
    »Ja, ich habe versucht, sie zu erreichen.«
    »Während ihr Ehemann bei der Arbeit war?«
    Henry schüttelte seufzend den Kopf.
    »An der Haustür hatte sie einen merkwürdigen Eindruck gemacht. So als hätte sie sich über irgendwas aufgeregt. Ehrlich gesagt habe ich mir Sorgen gemacht. Und ein paar Tage später habe ich dann von ihrem Verschwinden gehört.«
    »Du standest nie unter Tatverdacht. Ich versuche nicht, dich zu verhören.«
    »Wirklich? Ich hatte damals das Gefühl, von dir in die Mangel genommen zu werden. Und heute fühlt es sich kaum besser an.«
    »Du warst in sie verknallt, stimmt’s?«
    »Ein bisschen, ja. Aber mehr hätte ich mir nie vorstellen können. Sie war verheiratet und hatte Kinder. So etwas käme für mich nie in Frage. Schon damals nicht.«
    Jones wusste, dass Henry die Wahrheit sagte. Henry Ivy war ein guter Mensch. Er war bei Jones und Maggie oft zum Abendessen vorbeigekommen, er hatte Ricky zu Baseballturnieren der Little League begleitet und ihm Empfehlungsschreiben fürs College ausgestellt. Manchmal, wenn er aus irgendeinem Grund nicht zu seinen Eltern nach Florida fahren konnte, verbrachte er sogar Thanksgiving bei den Coopers. Sie waren seit Ewigkeiten befreundet. Trotzdem wusste Jones, dass Henry immer schon in Maggie verliebt gewesen war und dass er noch nie eine ernsthafte Beziehung gehabt hatte, wenigstens nicht

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