Gnade deiner Seele: Psychothriller (German Edition)
hatte etwas zu verbergen (Jones wusste es einfach), Ray Muldune würde nicht lockerlassen (Jones kannte ihn schon ewig) und Eloise Montgomery stachelte ihn mit ihren Visionen an. Jones erklärte es Chuck, verschwieg jedoch, dass es ganz in seinem Sinne war. Er wollte wissen, was Marla Holt zugestoßen war, was im Wald von The Hollows vergraben lag.
Als junger, ehrgeiziger Polizist war es ihm darauf angekommen, die Fälle möglichst schnell vom Tisch zu haben und Ermittlungen, die ins Leere liefen, rasch abzubrechen. Nicht, dass er nachlässig arbeitete, aber er verließ sich mehr auf sein Wissen als auf sein Gefühl. Und damals, im Fall Marla Holt, war er zu folgendem Schluss gekommen: Die junge, schöne, unglückliche Ehefrau hatte sich in eine Affäre gestürzt und ihre Familie verlassen. Es hatte einige wenige widersprüchliche Details gegeben, aber Jones hatte sich ganz auf die Fakten verlassen (und ein wenig vielleicht auch auf seine Vorurteile den Leuten im Allgemeinen und den Frauen im Speziellen gegenüber).
Die Jahre im Dienst hatten ihm einiges abverlangt, gleichzeitig hatte er viel gelernt. Geduld zu haben, zum Beispiel. Nicht genug, würde Maggie sagen, aber ganz sicher war er geduldiger als früher. Er hatte gelernt, dass ein Mensch viele unterschiedliche Seiten hat und dass man jede einzelne ernst nehmen sollte. Und auch wenn man meistens nur eine bestimmte Seite eines Menschen deutlicher wahrnimmt, kann sich dahinter die Kehrseite verbergen. In erster Linie hatte er aber gelernt, dass jenes nagende Unbehagen (das ihn jetzt, wo er an Marla Holt dachte, wieder ergriff) etwas zu bedeuten hatte. Er besaß nicht mehr die Arroganz, es zu ignorieren.
»Von Renovierungsarbeiten habe ich nichts gesagt, Michael. Sie sollten bloß aufräumen.« Tammy, die Maklerin, klang genervt.
»Schon klar, aber würde eine neue Küche potenzielle Käufer nicht überzeugen?«
Tammy seufzte in die Muschel. Michael hatte ihre geöffneten, sorgfältig bemalten Lippen vor Augen und wie sie die manikürten Hände rang. Tammy war eine jener Frauen, die hungerten, sich rasierten, schminkten, sich die Haare färbten. Vermutlich hatte er noch keines ihrer Körperteile im Naturzustand gesehen. Von ihren Augenbrauen bis zu den Zehennägeln hatte sie alles unter Kontrolle.
»Michael, Sie verstehen nicht«, sagte sie und klang zum ersten Mal schroff. »Die Küche ist nicht das Problem. Es ist ein Abbruchhaus. Jemand wird es einreißen, um auf dem Grundstück neu zu bauen. Eine neue Küche ist Zeit- und Geldverschwendung. Haben Sie den Entrümpler angerufen, dessen Nummer ich Ihnen gegeben habe? Haben Sie einen Kostenvoranschlag eingeholt? Wir müssen den Müll loswerden.«
Er erzählte ihr nicht, dass er in der Küche bereits mit dem Vorschlaghammer gewütet hatte. Bei diesen Heimwerkersendungen sah alles so einfach aus. Die Realität gab weniger schnell nach. Sie splitterte an manchen Stellen, während sie an anderen felsenfest hielt, manchmal zerbrach sie zu Bröckchen, manchmal gar nicht.
»Noch einmal von vorn, Michael.« Sie hatte die nervige Angewohnheit, ständig seinen Namen zu sagen, so als wäre er ein hyperaktives Kind, um dessen Aufmerksamkeit sie ringe. »Rufen Sie den Entrümpler an. Lassen Sie den Mist abtransportieren. Allein schaffen Sie das nicht. Und vergessen Sie die neue Küche.«
Er antwortete nicht. Aus irgendeinem Grund erinnerte ihr Rat ihn an Eloise Montgomerys Worte. »Lassen Sie los«, hatte Eloise gesagt, »sie ist fort. Seit vielen Jahren. Wir sind nicht dafür geschaffen, in der Vergangenheit zu leben.«
»Michael, hören Sie zu?«, fragte Tammy.
Er wollte antworten, konnte aber seine Stimme nicht finden. Das passierte immer, wenn er mit zu vielen Informationen, Geräuschen oder Erwartungen konfrontiert wurde. Er erstarrte. Er stand in der halb eingerissenen Küche, das Telefon in der einen und den Hammer in der anderen Hand, und brachte keinen Ton heraus.
»Michael?«
Und nach einer Pause: »Ach, verdammt!« Tammy legte auf. Michael steckte das Handy in seine Hosentasche zurück.
Da spürte er sie, seine schreckliche Wut. Sie stieg in ihm auf, offenbarte sich als Blutrauschen in den Ohren. Er packte den Vorschlaghammer mit beiden Händen und schleuderte ihn gegen die Rigipswand. Es krachte, und eine grauweiße Staubwolke breitete sich in der ohnehin schon staubigen Küche aus. Dann der Küchentresen. Er splitterte, ohne umzukippen. Der Fußboden! Michael spürte, wie ihm der Rückstoß in Arme
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