Gnade deiner Seele: Psychothriller (German Edition)
und Rücken fuhr. Der Schmerz ernüchterte ihn. Beton. Unter dem Linoleum musste sich eine Betonschicht verbergen. Michael sank zu Boden, während der Staub sich auf seinem Haar und seinen Kleidern niederließ. Er wünschte sich, der Staub würde ihn wie Schnee unter sich begraben. Aber er fühlte sich besser, weil die schreckliche Wut verrauchte, sich verzog, spurlos verschwand.
Was hatte Eloise Montgomery ihm raten wollen? Die meisten Menschen konnten verstehen, warum ein Kind nach seiner Mutter sucht, sogar wenn das Kind schon fast vierzig und die Mutter seit fünfundzwanzig Jahren verschollen war. So etwas kann man nicht einfach abhaken, so etwas prägt einen fürs ganze Leben.
Michaels Schwester schien sich besser damit abfinden zu können. Sie lenkte sich mit dem Studium, der Karriere, später mit einem Ehemann und Kindern ab. Allerdings war sie bei Marlas Verschwinden noch klein gewesen. Cara gab zu, dass sie sich kaum an ihre Mutter erinnern konnte. Zwar litt sie seit Marlas Verschwinden immer wieder an Depressionen und hatte einmal sogar einen Privatdetektiv eingeschaltet. Als der Versuch erfolglos blieb, ging Cara zu einem Psychiater. Inzwischen hatten sie schon lange nicht mehr über ihre Mutter gesprochen, und Michael spürte instinktiv, dass Cara auf eine Art und Weise mit dem Thema abgeschlossen hatte, die ihm verwehrt blieb. Cara betrachtete ihre Tante Sally als eine Art Ersatzmutter. Sally hatte sie ein Jahr nach Marlas Verschwinden zu sich genommen. Michael war beim Vater geblieben. Er wollte warten und zur Stelle sein, wenn seine Mutter eines Tages nach Hause käme.
Cara hatte sich sehr darüber aufgeregt, dass Michael Ray Muldune und Eloise Montgomery beauftragt hatte. Sie war weder zur Beerdigung angereist, noch hatte sie Michael geholfen, den Nachlass zu ordnen.
»Eine Hellseherin ? Ist das dein Ernst, Michael?«, fragte sie ungläubig, gleichzeitig mischte sich in ihren Tonfall Abgeklärtheit und Verachtung.
»Ich will endlich mit der Vergangenheit abschließen«, hatte sie gesagt, »warum musst du immer wieder darin herumbohren?«
»Ich werde erst damit abschließen können, wenn ich weiß, was ihr zugestoßen ist. Dies ist meine letzte Chance, das spüre ich. Er ist gestorben, und was immer er hier gehortet und versteckt hat, gehört jetzt mir.«
Er hörte ihren Atem. Als Cara klein war, hatte Michael sie gern im Schlaf beobachtet. Sie war so friedlich, schlief so fest, als könnte nichts sie wecken. Ihren Atem zu hören, machte ihn glücklich und zufrieden.
»Nimm alles, okay«, sagte sie. »Das Geld, das Haus, was immer du findest. Alles deins.« Sie klang unterkühlt. »Aber versprich mir eins. Egal ob du fündig wirst oder nicht, du wirst Mom vergessen, das Geld nehmen und dich auf dein Leben konzentrieren. Versprochen?«
»Versprochen.« In der Leitung knackte es, die Verbindung war schlecht.
»Weißt du, ich habe Kinder«, sagte sie. »Ich weiß, wie anstrengend das ist, wenn die Bedürfnisse nie enden, wie banal und enttäuschend der Alltag sein kann. Als Mutter hat man nie frei, es gibt keine Ferien und keine Feiertage. Man ist rund um die Uhr im Dienst, und das täglich. Und wenn man die Kinder einmal nicht um sich hat, muss man ständig an sie denken.«
So hatte er sie noch nie reden hören. Er hatte sie sich immer als die perfekte Mutter vorgestellt, die ihre Kinder herumkutschierte, Plätzchen backte und Halloweenkostüme nähte.
»Was redest du da?«, fragte er.
»Ich will damit sagen, dass ich mir nie etwas anderes gewünscht habe. Anders als meine Freundinnen hatte ich niemals große Träume. Ich wollte ein Haus und eine eigene Familie, ich wollte Mutter sein. Es ist das Richtige für mich. Ich bin glücklich. Aber was, wenn nicht? Was, wenn ich mir eigentlich etwas anderes gewünscht hätte und stattdessen das hier bekommen hätte? Was, wenn ich meinen Mann nicht lieben würde? Dann wäre ich vielleicht auch in der Lage, zu gehen und nie zurückzukommen.«
»Nein«, sagte er, »sie ist nicht gegangen.«
»Ich stelle es mir doch nur vor. Außerdem wäre eine Rückkehr völlig ausgeschlossen. Selbst wenn man es bereut, sich selbst hasst und die Kinder vermisst. Wie soll man mit der Scham fertigwerden, mit dem Schmerz, den man den anderen zugefügt hat? Wie soll man sich rechtfertigen? Mommy, warum hast du uns verlassen? « Ihre Stimme brach, und sie fing an zu weinen.
»Tut mir leid«, sagte er. Er wusste nichts anderes zu sagen.
Er hörte sie zitternd
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