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Gnade deiner Seele: Psychothriller (German Edition)

Gnade deiner Seele: Psychothriller (German Edition)

Titel: Gnade deiner Seele: Psychothriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Unger
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was streng verboten war, in die Schächte hinabgestiegen, um durch die dunklen Tunnel zu laufen. Aber jetzt, in der High School, war alles anders. Michael wollte immer noch in den Wald gehen, Brian hingegen interessierte sich für Baseball und Mädchen. Obwohl ihre Mütter eng befreundet waren, trafen die Jungen sich kaum noch. Eines Tages hörte Michael auf dem Schulkorridor, wie ihn jemand als Spinner beschimpfte. Er drehte sich um und sah Brian, umringt von ein paar Sportcracks. Brian sah Michael nicht an, aber die anderen Jungen lachten.
    Wenn man bei einem Freund übernachtete, war das doch nichts anderes als getarntes Babysitting: Ich nehme Brian diesen Samstag, und am nächsten nimmst du Michael. Michael ging nur zu Brian, weil sie es so wünschte. Er wusste, dass sein Vater erst spät nach Hause kommen würde. Cara hätte Mom für sich allein. Manchmal wünschte er sich, er wäre so klein wie Cara; dann dürfte er auf ihrem Schoß sitzen, sie würde ihn kämmen und ihm den Mantel zuknöpfen. »Warum darf ich nicht woanders übernachten?«, hatte Cara sich heulend beschwert, als er auf dem Fahrrad davonfuhr. Ironie des Schicksals.
    Es gab tatsächlich Pizza, Gruselfilme und Süßigkeiten bis zum Abwinken. Michael und Brian wechselten kaum ein Wort, schmollten und ließen über sich ergehen, was man von ihnen verlangte. Als alle eingeschlafen waren, schlich Michael sich aus dem Haus, sprang auf sein Fahrrad, das an der Garage lehnte, und fuhr nach Hause. Die stille Nacht, der weiße Vollmond, die silbrigen Wolkenfetzen, der Geruch nach Stinktier und frisch gemähtem Gras, die prickelnd kühle Luft. An mehr konnte er sich eigentlich nicht erinnern. Er wusste nicht mehr, wie er ins Haus gekommen, wie er in sein Zimmer geschlichen war und sich schlafen gelegt hatte. Aber es musste so gewesen sein, denn am nächsten Morgen wachte er in seinem Bett auf.
    Erst an diesem Nachmittag, beim Gespräch mit Jones Cooper, waren Michael die lauten Stimmen eingefallen, die erbitterte Auseinandersetzung. Auf einmal konnte er sich erinnern. Nach seiner Unterhaltung mit Mrs. Miller hatte sich bereits etwas in ihm geregt. Vielleicht versuchte er, in seinem Kopf Ordnung zu schaffen? Er hatte gelesen, dass man sein Leben ändern, Geist und Seele reinigen könne, indem man die Wohnung ausmistete. Der Sperrmüll stand für gebundene Energien und die lähmende Vergangenheit. Obwohl das Haus eigentlich nicht sein Zuhause war, fühlte es sich beinahe so an, denn er hatte nie wieder versucht, irgendwo heimisch zu werden. Er hatte in Studentenwohnheimen, Pensionen, möblierten Wohnungen gelebt. In gewisser Hinsicht hatte er sein Elternhaus nie verlassen.
    Ray berichtete von Eloises Vision, von den Männern, die eine Frau durch den Wald verfolgten, hinter ihr herriefen. Als Michael das hörte, drehte sich ihm der Magen um.
    »Eloise möchte, dass ich Sie noch einmal darauf hinweise, dass die Vision sich möglicherweise auf eine andere Person bezieht«, sagte Ray. »Trotzdem hat sich diese Vision eingestellt, während sie die Schuhe Ihrer Mutter trug.«
    Sie standen auf der Veranda. Ray wollte nicht hereinkommen. Michael konnte es ihm nicht verdenken.
    »Was hat das zu bedeuten?«, fragte Michael. »Was geschieht jetzt?«
    Ray hatte eine Art, Michael anzusehen, die ihn verunsicherte. Rays Blick war ruhig und forschend, in aller Ruhe musterte er seine Umgebung. Er wirkte immer ein wenig verwundert, so als traue er seinen Augen nicht.
    »Manchmal vertiefen sich die Visionen, dann kann sie im Laufe der nächsten Tage noch mehr Details erkennen. Falls das passiert, haben wir etwas, mit dem wir arbeiten können. Möglicherweise sieht sie Gesichter, hört die Stimmen deutlicher oder sogar einen Namen heraus. Wenn Sie mich fragen, hat sie in der Vision eine Stelle gesehen, die ein oder zwei Kilometer hinter ihrem Haus im Wald liegt. Dort ist eine Lichtung mit einem leerstehenden Gebäude. Die Einheimischen nennen es die Kapelle. Kennen Sie den Ort?«
    Selbstverständlich kannte er diesen Ort. In seinen Ohren setzte eine Art weißes Rauschen ein. Ihm wurde flau im Magen, und er bekam Hitzewallungen. Der Schweiß rann ihm über den Rücken. Er setzte sich auf die Verandatreppe, stützte den Kopf in die Hände und konzentrierte sich darauf, sich nicht zu übergeben.
    »Michael, ist alles in Ordnung?«
    Nein, Mann, nichts ist in Ordnung. Mein Vater ist tot. Meine Mutter wird seit Ewigkeiten vermisst, aber ich kann nicht aufhören, an sie zu denken. Ich

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