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Gnade deiner Seele: Psychothriller (German Edition)

Gnade deiner Seele: Psychothriller (German Edition)

Titel: Gnade deiner Seele: Psychothriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Unger
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habe schon alles probiert. Und langsam fallen mir Szenen ein, hässliche Szenen aus der Nacht, in der sie verschwand. Du lieber Gott.
    » Geht schon, danke«, sagte er stattdessen. »Mir ist einfach nur warm, oder vielleicht brauche ich frische Luft. Ich versuche gerade, die Küche zu renovieren.«
    Ray sagte nichts, sondern setzte sich neben Michael. Michael erzählte von Jones Coopers Besuch und vom Streit zwischen seinen Eltern, an den er sich plötzlich erinnert hatte.
    Mikey, sei ein guter Junge, okay? Du weißt, dass ich nichts auf der Welt mehr liebe als dich. Das waren die letzten Worte seiner Mutter. Wieder und wieder sagte er sie sich vor, und er erinnerte sich an ihren flüchtigen Kuss, an ihre Hand, die seinen Rücken tätschelte, als er losradelte. Sie sagte immer: Du weißt, dass ich nichts auf der Welt mehr liebe als dich. Sie klang fröhlich, und ihr Tonfall rief ihm in Erinnerung, wie sie gesagt hatte: Ich liebe dich mehr als alle Sterne am Himmel und alle Fische im Meer und alle Blumen auf dem Feld . Und er hatte geantwortet: Ich liebe dich mehr als alle Marienkäfer und Libellen und Schmetterlinge . Sie sagte: Ich liebe dich noch zehnmal mehr! Ich liebe dich mehr als alles . Er hatte sie das Gleiche zu Cara sagen hören. Was ihn auf eine Weise verletzte, die unangemessen war, das hatte er damals schon gespürt. Er drehte sich auf dem Fahrrad noch einmal um, aber sie stand nicht wie sonst im Türrahmen, um ihm nachzuwinken, sondern kümmerte sich um die heulende Cara. Wenn dies ein endgültiger Abschied gewesen wäre, hätte er es ihr angemerkt. Aber sie hatten sich wie immer voneinander getrennt, hastig und unaufmerksam, bis später, mein Schatz. Der Moment hatte keine Schwere. Das ließ ihn mehr als alles andere glauben, dass ihr etwas zugestoßen war.
    »Sie haben die Stimmen Ihrer Eltern gehört?«, fragte Ray.
    »Ich glaube, ja.« Nie hatte er daran gedacht, dass sich eine weitere Person im Haus aufgehalten haben könnte. Michael ließ den Kopf hängen. Alles drehte sich; wenn er nicht aufpasste, würde die Welt auf die Seite kippen und ihn ins All schleudern.
    Michael wusste, dass er Ray erzählen sollte, dass Jones Cooper die Grabungsstätte, genau die Stelle gefunden hatte, die Eloise in ihrer Vision gesehen hatte. Aber er schwieg. Zum ersten Mal überhaupt gestand er sich ein, dass er möglicherweise gar nicht nach der alten Mine grub. Er tappte ohnehin im Dunkeln. Er hatte keine Ahnung, wo jene legendäre Mine sich befand, niemand wusste das. Angeblich wurde die Sage mündlich weitergetragen, aber all seine Recherchen hatten Michael nicht weitergebracht. Es war nur eine Geschichte, die sein Vater ihm erzählt hatte.
    Michaels Vater war von der Vorstellung fasziniert, dass der Mensch sich einen Weg in die Tiefen der Erde sprengte, um ihr die Bodenschätze zu entreißen. Zurück blieben riesige Narben, tiefe Krater. Wenn man genau hinschaute und aufmerksam beobachtete, konnte man Macks Ansicht nach viel über den Planeten und seine jetzigen Bewohner lernen. Wir nehmen uns, was uns gefällt, ohne auch nur für einen Moment an den Schaden zu denken, den wir anrichten, hatte sein Vater gesagt . Mutter Erde schaut geduldig mit an, wie die Wunden, die wir ihr zugefügt haben, langsam verheilen. Eines Tages wird sie genug haben von uns, den unverbesserlichen Kindern. Es wird zu einer kosmischen Auszeit kommen, die Erde wird sich von uns befreien.
    »Sicher, dass alles in Ordnung ist, mein Junge?«, fragte Ray noch einmal.
    Michael zwang sich, den Kopf zu heben und Ray in die Augen zu sehen.
    »Ich fühle mich nicht gut. Das Ganze macht mir sehr zu schaffen.«
    Ray legte ihm eine Hand auf den Arm und schaute in den Garten der Nachbarin hinüber.
    »Ihre Nachbarin, Claudia. Sie will nicht mit mir reden. Ich habe es zwei Mal versucht.«
    »Die alte Hexe«, sagte Michael. Ray machte ein überraschtes Gesicht, und Michael merkte, dass er wütender geklungen hatte als beabsichtigt. »Die war schon immer so.«
    Ray musste lachen.
    »Ja, das habe ich gemerkt. Die böse Alte von nebenan.«
    »Ich werde es versuchen«, sagte Michael, »ein letztes Mal.«
    Ein roter Van rollte langsam am Haus vorbei. Er wendete in einer Auffahrt und fuhr schnell davon. Jemand hatte sich verfahren. Michael konnte den Fahrer nicht erkennen, als der Wagen vorbeikam.
    »Hören Sie, Mike«, sagte Ray, »ehrlich gesagt stecke ich in einer Sackgasse. Ich weiß nicht, wen ich noch befragen soll. Die Datenbanken, die Kleinanzeigen,

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