Gnade
ein paar Schritte vor, straffte die Schultern und wischte sich mit dem Handrücken über die Augen.
»Wo sind denn Ihre anderen Kinder?«, erkundigte sich Theo.
»Unten in der Cafeteria«, erwiderte Cherry. »Ich sollte mal nach ihnen sehen. Henry ist sicher schon quengelig. Er müsste längst im Bett sein, und ich habe vergessen, seine kleine Decke mitzunehmen, die er sich beim Daumenlutschen immer an die Nase hält.« Sie fing erneut an zu weinen.
Daryl legte den Arm um sie. »Henry geht’s bestimmt gut. Die Frau des Reverends fährt die Kleinen gleich nach Hause und bringt sie ins Bett«, erklärte er Theo. »Sie müsste jeden Moment eintreffen. Lass uns runter ins Labor gehen, Cherry! Ich möchte wieder hier sein, wenn Dr. Mike kommt.«
Daryl war sehr nervös. Theo verstand, dass der Vater das Bedürfnis hatte, etwas zu tun, das seinem Kind half. Nur zu warten würde ihn wahnsinnig machen.
»Vielleicht sollte einer von uns hier bleiben«, schlug Cherry vor.
»Ich bin ja da«, beruhigte Theo sie. »Ich werde Sie sofort rufen lassen, wenn sich etwas tut.«
Noah hatte sich während der Unterhaltung im Hintergrund gehalten, aber sobald die Watersons weg waren, gesellte er sich zu Theo. »Die Frau sieht aus, als stünde sie unter Schock.«
»Wie schlimm ist die Verletzung? Weißt du etwas Genaueres?«
»Es hat furchtbar ausgesehen, aber mehr weiß ich nicht. Ich würde verrückt werden, wenn ich hier arbeiten müsste. Ich habe Mike durch das Fenster im OP beobachtet. Sie stand am Waschbecken, hat sich die Hände und Arme geschrubbt und sich dabei die Röntgenbilder angesehen, die ihr ein anderer Arzt hinhielt. Schwestern und Ärzte liefen aufgeregt hin und her, und alle schrien sich irgendetwas zu – alle außer Mike. Sie war so ruhig und kühl wie eine Sommerbrise.« Er war voller Bewunderung. »Sie weiß wirklich, wie sie sich in einer Extremsituation zu verhalten hat. Ich schätze, deshalb ist sie Chirurgin geworden.«
Theo nickte. »Genauso cool war sie letzte Nacht, als uns die Kugeln um die Köpfe zischten.«
»Apropos zischende Kugeln, hast du in New Orleans etwas erreicht?«
»O ja!«, sagte Theo. »Du wirst nicht glauben, was ich herausgefunden habe.«
Er erzählte Noah vom Sowing Club und den Millionen auf dem Konto auf den Cayman-Inseln, von seinem Gespräch mit Rosa und der Spur, die ihn zu Cameron Lynch geführt hatte. Schließlich fügte er hinzu: »Ich möchte John Russell schnappen. Aber ich habe das Gefühl, dass hinter allem weitaus mehr steckt als nur die Verbrechen in diesen Aufzeichnungen. Sobald Cameron Lynch gefasst ist, werde ich mich ausführlich mit ihm unterhalten. Er verrät mir bestimmt, was ich wissen will.«
»Nach allem, was Nick mir über deine rhetorischen Tricks erzählt hat, bezweifle ich keinen Augenblick, dass du ihn zum Reden bringst. Ich möchte mir diese Papiere übrigens gern mal ansehen.«
»Ich habe eine Kopie im Handschuhfach deponiert.«
»War das klug?«
Theo lächelte. »Ich habe noch nicht erwähnt, dass ich außerdem Kopien an meinen Boss, das FBI und zu mir nach Hause geschickt habe. Und die Steuerbehörde wird durch meinen Chef ebenfalls einen Ausdruck erhalten.«
»Das ist natürlich äußerst clever von dir.«
»Übrigens: Die Buchstaben neben den Überweisungen sind J und C für John und Cameron und P und D. Wer verbirgt sich wohl hinter diesen zwei Kürzeln?«
»Zu schade, dass Russell nicht die vollen Namen hingeschrieben hat!«
»Vielleicht hat Catherine sie ja angegeben. Es wäre immerhin möglich, dass sie Michelle Erklärungen zu alldem mitgeschickt hat. Ich wette, ich habe das Rätsel bald gelöst. Detective Underwood und Detective Basham haben ein paar ihrer Kollegen beauftragt, Johns Bekannte in New Orleans zu befragen. Es dauert bestimmt nicht mehr lange, bis wir die Namen erfahren.«
»Vielleicht weiß Detective Harris ja auch, wer sie sind. Hat sie sich schon bei dir gemeldet?«
»Nein.«
Noah schüttelte den Kopf. »Ich schätze, sie ist nicht unbedingt eine Frau, die ihr Wort hält. Die zwölf Stunden sind längst vorbei, und hatte sie dir nicht versprochen, dir bis dahin eine Kopie der Akte zukommen zu lassen?«
»Sie wäre wahrscheinlich außer sich, wenn sie erführe, dass ich bereits eine Kopie der Papiere von Rosa erhalten habe.«
»Aber du hast nicht vor, es ihr zu sagen, oder?«
»Den Teufel werd ich tun!«, rief Theo. »Ich gebe keinerlei Informationen an sie weiter. Underwood und Basham werden die Verhaftungen
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