Gnade
Sie irgendwann hier auftauchen würden. Ich habe überlegt, ob ich Sie anrufen soll, aber Mike hätte mich geohrfeigt, wenn ich das getan hätte, und außerdem dachte ich mir, dass Sie bestimmt von selbst den Weg hierher finden.«
Theo hatte keine Ahnung, wie er diese Bemerkungen auffassen sollte. Doch dann sagte Jake: »Nachdem ich Ihnen die Idee mit dem Angeln in den Kopf gesetzt hatte, war ich sicher, dass Sie sich ein paar Tage freinehmen. Ein echter Angler kann niemals Nein sagen, egal, wie lange es her ist, dass er zum letzten Mal eine Angelrute in der Hand gehalten hat. Ist es nicht so?«
»Ja, Sir«, erwiderte Theo.
»Falls Sie sich als geborener Angler erweisen – und ich habe das starke Gefühl, dass Sie einer sind –, dann könnte ich mich mit Ihnen für das Turnier am nächsten Wochenende zusammentun. Mein Partner war sonst immer mein Freund Walter, aber Mike hat ihm erst gestern die Gallenblase rausgenommen, und bis zum Turnier ist er auf keinen Fall wieder fit. Er hat mir schon geraten, mir einen anderen Partner zu suchen. Sie sind dann doch noch da, oder?«
»Ehrlich gesagt habe ich mir noch gar nicht überlegt, wie lange ich in Bowen bleiben will.«
»Dann ist es also abgemacht. Sie bleiben!«
Theo lachte. »Was für ein Turnier ist das denn?«
»Oh, hier in der Gegend ist es eine große Sache«, erklärte Jake. »Einmal im Jahr kommen Angler von weit her nach Bowen, um einen Wettbewerb auszutragen. Jeder setzt fünfzig Dollar in bar ein«, fügte er hinzu. »Das ergibt dann ein ganz hübsches Preisgeld, und ich bin schon seit fünf Jahren scharf darauf, den alten Lester Burns und seinen Bruder Charlie zu schlagen. Seit es dieses Turnier gibt, holen sie sich jedes Jahr die Medaille und das Geld. Sie haben eine außerordentlich gute Ausrüstung, und das verschafft ihnen natürlich Vorteile. Die Regeln sind übrigens ganz einfach«, fügte er hinzu. »Man fängt so viele Fische wie möglich, und der Schiedsrichter wiegt den Fang am Ende des Tages vor allen Zuschauern ab. Danach findet hier im Schwan eine Party mit vorzüglichem Cajun-Essen statt. Sagen Sie, wie gefällt Ihnen eigentlich meine Kneipe?«, fragte er. Er beschrieb mit dem Arm einen weiten Bogen. »Hübsch, nicht wahr?«
Theo sah sich aufmerksam um. Die Sonne strömte durch die offenen Fenster auf den Holzboden. Die Tische waren an die Wände gerückt und die Stühle hochgestellt, und ein Eimer sowie ein Schrubber standen in einer Ecke. Zur Linken befand sich eine Jukebox. Die Deckenventilatoren gaben bei jeder der langsamen Umdrehungen ein klickendes Geräusch von sich. Angesichts der hohen Temperaturen draußen war es hier drin erstaunlich kühl.
»Sie ist wirklich toll«, bestätigte Theo.
»Wir machen am Wochenende ein Mordsgeschäft«, sagte Jake. »Ja, es ist wirklich schön, Sie zu sehen! Michelle wird sich auch freuen. Sie hat Ihren Namen mehr als einmal erwähnt.«
Diese kleine Information fand Theo besonders erfreulich. »Wie geht’s ihr? Ich war heute bei Dr. Cooper, und er hat mir erzählt, dass ihre Praxis verwüstet wurde.«
»Die Burschen haben alles kurz und klein geschlagen. Anders kann man das nicht nennen«, berichtete Jake. »Und das ohne jeden Grund. Sie haben nichts mitgenommen, nur alles durcheinander gebracht. Mike, die Ärmste, hatte bisher kaum Zeit, sich das Chaos anzuschauen. Sie kam heim, und schon wurde sie wegen einer Notoperation wieder ins Krankenhaus gerufen. Sie hatte keine Minute, um das Durcheinander aufzuräumen oder ihrem Bruder und mir zu sagen, was wir tun können. Ich sage Ihnen eins: Sie macht sich mit der vielen Arbeit vollkommen fertig. Ich rechne jede Minute damit, dass sie umkippt.«
»Ich komme bestens zurecht, Daddy.«
Als Theo Michelles Stimme hörte, drehte er sich unwillkürlich um. Sie stand auf der Schwelle und lächelte. Sie trug khakifarbene Shorts und ein dunkelrotes Rugby-Hemd mit weißen Streifen und zahlreichen Farbflecken darauf.
Theo bemühte sich verzweifelt, seinen Blick von ihren Beinen abzuwenden, aber das kostete einige Anstrengung. Sie waren unglaublich: lang, wohlgeformt – einfach sagenhaft!
»Was machen Sie denn in Bowen, Mr. Buchanan?«, fragte Michelle und hoffte insgeheim, dass ihre Stimme nicht allzu sehr zitterte. Theo hier in der Kneipe ihres Vaters vorzufinden hatte sie völlig verwirrt, und als er sich nun lächelnd zu ihr umdrehte, glaubte sie, dass ihre Knie jeden Moment nachgeben würden. Ihr Herz fing wild an zu pochen, und sie war
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