Gnade
war sofort Feuer und Flamme. »Hervorragend! Mike kann sie gleich hinbringen. Und heute Nacht schlafen Sie natürlich bei mir – oder bei Mike.« Jake blinzelte Theo verschwörerisch zu. »Wir haben beide ein Gästezimmer. Es kommt gar nicht in Frage, dass Sie sich in einem Motel einmieten oder so etwas. Sie sind mein Partner bei dem Turnier, also sind Sie auch mein Gast. Und Sie bekommen selbstverständlich freie Kost im Schwan.«
»Nein, das kann ich nicht annehmen!«, wehrte Theo hastig ab, worauf Michelle in Gelächter ausbrach.
»Ich glaube kaum, dass Theo deine Gumbosuppe noch einmal essen möchte«, brachte sie mühsam hervor. Sie bedachte Theo erneut mit diesem Lächeln, diesem unglaublichen Lächeln!
Wo war er da nur hineingeraten? Dieser Angelausflug wurde allmählich kompliziert. »Oh, das hätte ich beinahe vergessen!«, rief er. »Cooper hat mir etwas für Sie mitgegeben. Der Karton ist in meinem Kofferraum.«
»Wie nett von ihm!«
»Er will dich anmachen – das ist ja wohl offensichtlich.«
»Er ist ein verheirateter Mann, Daddy!«
»Na und? Er wirbt um dich, damit du in die Stadt ziehst und für ihn arbeitest. So sehe ich das jedenfalls.«
Ein Klopfen an der Tür unterbrach ihre Unterhaltung. Sie drehten sich alle um. Die Tür ging auf, und ein Junge steckte den Kopf herein. Er war ziemlich groß und hatte einen Bürstenhaarschnitt. Er sah aus, als würde er an die hundertfünfzig Pfund wiegen.
»Mr. Renard?« Die Stimme krächzte. »Darf ich reinkommen, auch wenn Sie noch nicht geöffnet haben?«
Jake erkannte den Jungen sofort. Sein Name war Elliott, und er war der Älteste von Daryl Watersons Brut. Daryl und Cherry hatten acht stramme Jungs, alle gesund und kräftig. Aber der Familie ging es seit Daryls tragischem Unfall mit der Schnitzelmaschine in der Mühle finanziell sehr schlecht. Die älteren Jungs hatten Teilzeitjobs angenommen, um die Familie zu ernähren, bis Daryl wieder auf die Beine kam.
»Elliott, du kennst meine Regeln. Kein Minderjähriger setzt einen Fuß in den Schwan, weder am Tag noch am Abend. Du willst doch nicht, dass ich meine Lizenz verliere, oder?«
»Nein, Sir, bestimmt nicht!«
»Suchst du Arbeit?«
»Nein, Sir. Ich hab einen Job in der Packerei in St. Claire. Wir alle haben uns nur gefragt, ob …«
»Wer genau ist wir?« , wollte Jake wissen.
»Ein paar Jungs und ich.«
»Sind sie alle minderjährig?«
»Ja, Sir, ich denke schon, aber sie …«
»Mach die Tür zu, Junge, sonst kommen die Fliegen herein! Grüß deine Familie von mir und sag Daryl, dass ich am Sonntag mal bei ihm vorbeischaue.«
Elliott war ziemlich durcheinander. »Ja, Sir, das mach ich, aber …«
»Und jetzt geh.«
»Daddy, meinst du nicht, du solltest Elliott mal ausreden lassen?«, fragte Michelle.
Theo hatte sich inzwischen erhoben und ging auf die Tür zu. »Vielleicht weiß einer von denen etwas über die Verwüstung in Ihrer Praxis«, sagte er. »Wir sollten mit ihnen sprechen.«
»Ich war wohl ein wenig voreilig«, gab Jake zu. »Ist jemand da draußen krank oder verletzt, Elliott? Mike, vielleicht solltest du mal nachsehen.«
Elliott, der noch immer vor der Tür stand, schüttelte heftig den Kopf. »Nein, das ist es nicht«, antwortete er. »Niemand ist verletzt.« Er drehte sich um und öffnete die Tür. Dann schrie er: »Hey, Jungs, er trägt eine Waffe! Ist das nicht cool?«
Gerade als Michelle hinter der Bar vortrat, wirbelte der Teenager erneut herum. Er warf einen Blick auf ihre Beine und schaute rasch wieder weg. »Nein, Ma’am, ich meine, nein, Dr. Mike, Sie brauchen nicht rauszukommen. Also, wir alle sehen Sie natürlich gern, aber … nein, das wollte ich gar nicht sagen. Auf jeden Fall ist niemand krank oder so. Ehrlich!«
Elliott wurde puterrot. Offenbar schaffte er es nicht, in Gegenwart einer hübschen Frau auch nur einen zusammenhängenden Satz herauszubekommen. Theo konnte das gut nachfühlen.
»Weißt du etwas über die Verwüstung in meiner Praxis?«, fragte Michelle.
»Nein, Ma’am, ich weiß nichts. Ich hab überall rumgefragt, genau wie Ihr Dad es meinem Dad aufgetragen hat. Kein Mensch weiß was, und das ist komisch, weil die Jungs, die so was machen, hinterher immer damit angeben. Aber keiner prahlt damit. Jedenfalls niemand, mit dem ich geredet hab. Ehrenwort!«
»Warum bist du dann hier, Elliott?«
Der Junge konnte nicht aufhören, Michelle anzustarren, aber es gelang ihm trotzdem, auf Theo zu deuten. »Äh … wir haben gedacht …
Weitere Kostenlose Bücher