Gnade
sicher, dass sie knallrot wurde. Wie sollte sie in seiner Gegenwart auch ruhig bleiben? Wie die Schwestern im OP gesagt hatten: Theo Buchanan sah umwerfend gut aus!
»Ist das eine Art, einen Gast mit solch einer Frage zu begrüßen?«, rügte Jake seine Tochter.
Michelle hatte den Schock, Theo plötzlich gegenüberzustehen, noch nicht überwunden. »Hast du ihn etwa angerufen und um Hilfe gebeten?« Sie schaute ihren Vater anklagend an.
»Nein, junge Lady, das habe ich nicht getan. Jetzt hör auf, mich so böse anzufunkeln, und besinn dich auf deine guten Manieren! Als ich Theo im Krankenhaus kennen lernte, habe ich ihn zum Angeln eingeladen.«
»Daddy, du lädst wirklich jeden zum Angeln nach Bowen ein!«, sagte sie kopfschüttelnd.
Sie wandte sich an Theo. »Sind Sie tatsächlich zum Angeln hier?«
»Genau genommen bin ich …«
Jake schnitt ihm das Wort ab. »Das hab ich dir doch gesagt! Und weißt du, wozu ich mich gerade entschlossen habe? Theo wird mein Partner bei dem Turnier am nächsten Wochenende.«
»Wie fühlen Sie sich?«, erkundigte sich Michelle bei Theo und ignorierte Jakes Neuigkeit. Ihre Rolle als Ärztin erlöste sie von ihrer Verlegenheit. »Gab’s noch Komplikationen?«
»Dank Ihnen bin ich so gut wie neu! Das ist einer der Gründe, warum ich hergekommen bin. Abgesehen vom Angeln. Ich wollte Ihnen das Kleid bezahlen, das ich ruiniert habe, aber hauptsächlich möchte ich mich bedanken. Sie haben mir das Leben gerettet.«
»Hört sich das nicht gut an, Mike?« Jake strahlte wie eine Neonreklame. »Deshalb hast du doch Medizin studiert, nicht wahr? Um Leben zu retten.«
»Ja, Daddy«, stimmte sie ihm schmunzelnd zu.
»Haben Sie Hunger, Theo?«, fragte Jake. »Es ist schon nach Mittag, und ich wette, Sie haben noch nichts gegessen! Ich habe einen Eintopf mit Gumboschoten auf dem Herd. Kommen Sie, setzen Sie sich an die Bar, bis er fertig ist. Mike, warum holst du Theo nicht ein schönes kaltes Bier?«
»Wasser wäre mir lieber«, sagte Theo schnell.
Er folgte Michelle zur Theke und registrierte, dass ihr Pferdeschwanz bei jedem Schritt hin und her schwang. Wie alt war sie eigentlich? Möglicherweise machte er gerade die Midlife-Krise durch! Michelle gab ihm das Gefühl, wieder jung zu sein. Dabei war er erst zweiunddreißig! Vielleicht war es doch ein bisschen früh für die Midlife-Krise.
Kurz darauf stellte Jake eine große Schüssel mit dicker Gumbosuppe auf den Tresen und reichte Theo eine Serviette und einen Löffel. »Vorsicht!«, warnte er. »Die hat’s in sich!«
Theo wollte die Suppe noch ein paar Minuten abkühlen lassen. Er rührte und probierte schließlich einen Löffel. Sekunden später tränten ihm die Augen, und seine Nase lief wie verrückt. Er hustete und versuchte verzweifelt, wieder Luft zu bekommen. Es fühlte sich an, als hätte er gerade geschmolzene Lava hinuntergeschluckt. Er griff nach dem Glas, das Michelle neben der Suppenschüssel platziert hatte, und kippte das Wasser in einem Zug hinunter.
»Ich glaube, diesmal hast du übertrieben«, bemerkte Michelle trocken. »Wie viel von deiner Spezialsauce hast du denn da reingeschüttet?«
Jake reichte Theo ein frisches Glas mit Wasser und beobachtete, wie er zu trinken versuchte, obwohl er noch immer husten musste. »Nur eine Flasche«, beteuerte er achselzuckend. »Als ich vorhin probierte, kam mir der Eintopf ein bisschen fad vor. Ich hab noch etwas mehr dazu gegeben, um dem Ganzen den letzten Pfiff zu verleihen.«
Michelle schüttelte den Kopf. »Er kommt her, um sich zu bedanken, und du versuchst, ihn umzubringen!«
Theo brachte nach wie vor kein Wort heraus, und Jake klopfte ihm kräftig auf den Rücken. Theo hätte ihm gern gesagt, dass er damit aufhören solle, aber er war davon überzeugt, dass seine Stimmbänder nur noch Asche waren.
Michelle reichte ihm ein Stück französisches Weißbrot. »Essen Sie das. Das hilft.«
»Ich wette, jetzt haben Sie Lust auf ein kaltes Bier!«, sagte Jake, sobald Theo das Brot vertilgt hatte.
Theo nickte, und nachdem er einen großen Schluck Bier getrunken hatte, wandte er sich an Michelle: »Ich habe heute Morgen Dr. Cooper aufgesucht.«
»Ich dachte, Ihnen fehlt nichts«, sagte sie. Sie stand inzwischen hinter der Bar und räumte Gläser ins Regal.
»Das stimmt ja auch«, entgegnete er. »Aber ich konnte meinen letzten Termin nicht wahrnehmen, weil ich ein paar Tage nach der Operation schon wieder nach Boston geflogen bin. Ich habe meine Rede diese Woche
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