Gnade
von Louisiana nicht vertraut«, begann er und erkannte sofort, dass Daryls Hoffnung wich und der Resignation Platz machte. »Das heißt, ich muss zuerst einige Nachforschungen anstellen und mit Kollegen sprechen, die mir eventuell Ratschläge geben können«, fügte er hinzu und freute sich, als ein Lächeln über Daryls Gesicht huschte. »Also, ich schlage Folgendes vor: Ich erledige meine Recherchen, überlege mir, wie wir vorgehen, und dann setzen wir uns noch einmal zusammen, und ich erkläre Ihnen, welche Möglichkeiten Sie haben. Bis dahin wäre es das Klügste, wenn niemand etwas von diesem Gespräch erfährt. Ich möchte nicht, dass die Carsons oder ihre Anwälte jetzt schon Wind davon bekommen, dass ich meine Nase in diese Angelegenheit stecke. Einverstanden?«
»Ja, einverstanden«, sagte Daryl. »Ich erzähle keiner Menschenseele etwas davon.«
»Und was ist mit Big Daddy Jake?«, erkundigte sich Cherry. »Er weiß, dass wir mit Ihnen geredet haben.«
»Er wird es schon niemandem weitersagen«, beschwichtigte Daryl.
Plötzlich ertönte eine Kinderstimme. »Mama, Mr. Freeland wartet auf der Veranda. Kann er reinkommen?«
Ein kleiner Junge von etwa fünf oder sechs Jahren stürmte in die Küche. Er hatte lauter Sommersprossen im Gesicht und lockiges Haar wie seine Mutter.
»John Patrick, führ Mr. Freeland in die Küche.«
Der kleine Junge achtete jedoch gar nicht darauf, was seine Mutter sagte. Er lief auf Michelle zu und schlang seine Arme um sie.
»Wir sollten Sie nicht länger aufhalten«, sagte Theo und schob seinen Stuhl zurück. »Ich habe mir einen Überblick verschafft. Am besten behalten Sie die Unterlagen hier.«
»Sie können doch jetzt nicht gehen!«, protestierte Cherry. »Mr. Freeland ist den ganzen Weg hierher gekommen, um Sie … Ich meine, Sie müssen ihn unbedingt kennen lernen!«
»Er hatte ganz zufällig in der Nähe zu tun«, ergänzte Daryl und starrte angestrengt auf die Tischplatte. Theo brauchte ihm nicht in die Augen zu schauen, um zu erkennen, dass er log.
»Hat Mr. Freeland auch ein juristisches Problem?«, fragte Michelle scheinbar arglos. Sie lächelte und wechselte schnell das Thema. »John Patrick«, sagte sie zu dem Kleinen. »Das ist ein Freund von mir, Theo Buchanan. Stell dir vor, er ist von Boston hierher gekommen, nur um angeln zu gehen.«
John Patrick nickte. »Ich weiß schon, wer er ist. Alle wissen es. Dr. Mike, kannst du John Paul sagen, dass er noch mal herkommen soll? Und sag ihm, er muss sich beeilen, weil ich meinen Ball im Hinterhof gelassen habe, und ich brauche ihn, okay?«
»Ist Lois denn wieder da?«, fragte sie.
»Der Junge ist felsenfest davon überzeugt«, sagte Daryl. »Er bekommt noch ein Magengeschwür vor lauter Angst.«
»Wir haben Lois seit über einem Monat nicht mehr gesehen, aber John Patrick hat immer noch Angst, dass sie unerwartet auftaucht. Er holt seinen Ball nicht aus dem Hof, bis Ihr Bruder herkommt. Und er lässt auch niemanden von uns hinüber. Ich muss meine Wäsche zum Trocknen jetzt immer auf diese Seite vom Hof hängen, nur um ihn zu beruhigen. Unser John Patrick hat dauernd Angst«, fügte Cherry zu Theo gewandt hinzu, als ob dies das seltsame Verhalten des Jungen erklären würde.
»John Patrick ist übrigens mit seinem ersten Namen nach Dr. Mikes Bruder John Paul benannt«, warf Daryl ein.
»Sagst du es ihm?«, flehte der Junge.
Michelle legte den Arm um das Kind. »Sobald ich ihn sehe, richte ich ihm aus, dass er dich so bald wie möglich besuchen soll. Du brauchst dir also deswegen keine Gedanken mehr zu machen, John Patrick.«
»Okay«, flüsterte das Kind. »Der Mann da …«
»Theo?«
John Patrick nickte.
»Was ist mit ihm?«, hakte Michelle nach.
»Darf ich ihn was fragen?«
»Du darfst mich alles fragen, was du willst«, sagte Theo.
John Patrick straffte die schmalen Schultern und wandte sich an Theo.
»Was möchtest du denn wissen?«
Der Junge war nicht schüchtern. Er kam näher, schaute Theo in die Augen und sagte: »Mein Daddy sagt, dass Big Daddy Jake ihm erzählt hat, dass du einen Revolver hast. Stimmt das?«
Die Frage erstaunte Theo. »Ja, ich habe einen Revolver, aber nicht mehr lange. Ich werde ihn schon bald wieder abgeben«, erklärte er dem Kind. »Ich mag nämlich keine Waffen.«
»Aber jetzt hast du ihn noch?«
»Ja.«
Die Faszination des Kindes war besorgniserregend, und Theo überlegte, ob er ihm von den Gefahren erzählen sollte und davon, dass eine Waffe kein
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