Gnadenfrist
machte eine Pause. »Ich bin ganz sicher, Steves Lichter brannten, als ich heimkam.«
»Ich frage mich, warum sie irgend jemand ausmachen sollte.« Glendas Stimme klang besorgt. »Dora Luft ist so nervös. Vielleicht solltest du mal hinübergehen…«
»Ach, das möchte ich nicht, Liebling. Ganz sicher gibt es eine simple Erklärung dafür.«
Sie seufzte. »Anzunehmen. Es ist nur… nun, was damals passierte…, es ging mir in den letzten Tagen immer wieder durch den Kopf.«
»Ich weiß.« Er legte begütigend den Arm um ihre Schultern und fühlte, wie angespannt ihr ganzer Körper war. »Komm, setzen wir uns und machen wir’s uns gemütlich.«
»Warte, Roger, sieh doch!« Sie beugte sich vor. »Da kommt ein Wagen aus Steves Einfahrt.
Er fährt ohne Licht. Ich frage mich, wer…«
»Also, du hörst jetzt auf, dich zu fragen, und setzt dich hin«, sagte Roger bestimmt. »Ich hole etwas Käse.« »Der Brie steht auf dem Tisch.« Sie tat, als merkte sie nicht, daß er sie sanft am Arm vom Fenster wegziehen wollte, sondern faßte in die Tasche ihres langen Wollrocks und zog ihre Brille hervor. Sie setzte sie auf, beugte sich wieder vor und betrachtete die dunklen Umrisse des stillen Hauses von schräg gegenüber. Aber der Wagen, den sie aus Petersons Auffahrt hatte kommen sehen, war bereits an ihrem Fenster vorbeigefahren und verschwand eben unten in der Straße im dichten Schneegestöber.
11
»Morgen ist auch noch ein Tag.« Scarlett O’Hara hockte auf der Treppe und murmelte die letzten Worte mit hoffnungsfroher Stimme. Die Musik erhob sich zu einem Crescendo, während das Bild auf der Leinwand in eine Großansicht von Tara überging.
Marian Vogler seufzte, als die Musik ausklang und die Lichter im Kino wieder angingen.
Heutzutage machen sie keine solchen Filme mehr, dachte sie. Sie wollte auf keinen Fall noch den nachfolgenden Film sehen; er wäre nur eine Enttäuschung.
Widerwillig stand sie auf. Es war Zeit, wieder auf die Erde zurückzukommen. Ihr freundliches, sommersprossiges Gesicht bekam wieder seine Sorgenfalten, als sie den teppichbelegten Gang zum Hinterausgang des Kinos hinabging. Alle Kinder brauchten neue Sachen. Wenigstens hatte ihr Jim jetzt erlaubt, die Stelle in dem Haushalt anzunehmen.
Er hatte jemanden gefunden, der ihn täglich zur Arbeit mitnehmen würde, und so konnte sie den Wagen haben. Sie würde die Kinder zur Schule schicken und noch genug Zeit haben, um im Haus aufzuräumen, bevor sie zu den Perrys fuhr. Morgen war ihr erster Tag. Sie war ein wenig aufgeregt deswegen. Seit zwölf Jahren, seit der kleine Jim geboren wurde, hatte sie nicht mehr gearbeitet. Aber wenn es etwas gab, was sie wirklich beherrschte, dann war es, wie man ein Haus blitzblank hielt.
Aus der Wärme des Kinos trat sie in die beißende Kälte des unfreundlichen Märzabends hinaus. Sie zog den Mantel fester um sich und wandte sich mit entschlossenen Schritten nach rechts. Winzige Graupel, vermischt mit Schnee, peitschten ihr ins Gesicht, und sie kuschelte sich tief in den abgetragenen Pelzkragen ihres Mantels.
Ihr Wagen stand auf dem Parkplatz hinter dem Kino. Gott sei Dank hatte sie sich zu der Reparatur entschlossen. Er war acht Jahre alt, aber die Karosserie sah noch gut aus, und es war wirklich besser, wie Jim sagte, die vierhundert Dollar für eine gründliche Überholung auszugeben, als für dasselbe Geld das Sorgenkind eines anderen Mannes zu kaufen.
Marian war so rasch gegangen, daß sie vor dem Gros der Kinobesucher am Parkplatz anlangte. Jim hatte versprochen, das Abendbrot vorzubereiten, und sie war richtig hungrig.
Aber es hatte ihr gutgetan, einmal herauszukommen und abzuschalten. Jim hatte ihre Niedergeschlagenheit bemerkt und gesagt: »Drei Dollar werden uns auch nicht ärmer machen.
Ich kümmere mich um die Kinder, und du machst dir ein paar schöne Stunden, Baby, und vergißt die Rechnungen.«
Seine Worte klangen ihr noch in den Ohren, als sie plötzlich ihren Schritt verlangsamte und die Stirn runzelte. Sie war ganz sicher, daß sie den Wagen hier auf der rechten Seite geparkt hatte. Sie erinnerte sich, daß sie das Plakat im Fenster der Bank gesehen hatte, auf dem es hieß: »Wir möchten gern ja sagen zu Ihrem Kredit.« Tolle Sache, dachte sie. Ja, wenn man ihn nicht nötig hatte, nein, wenn man dringend einen brauchte.
Sie hatte den Wagen hier abgestellt. Sie konnte das Fenster der Bank sehen, es war jetzt beleuchtet, und der Werbespruch war sogar bei dem Schneegestöber nicht zu
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