Gnadenfrist
mußte. Ich winkte ihm ungeduldig zu. Jetzt würde ich der zweiten Bootsmannschaft erklären müssen, warum ihre Dienste nicht mehr benötigt wurden – und wie ich die Regeln der Ruderergilde kannte, würden sie vermutlich ein Ausfallhonorar verlangen.
Während ich nervös herumzappelte, fingen Petronius’ beiden Ruderer plötzlich an zu brüllen. Dann fiel auch Petro ein. Seine Bootsmänner ruderten mit aller Kraft auf Gaius und Phlosis zu. Die nahmen Tempo auf. Plötzlich sprangen zu meiner Verblüffung meine beiden hilfsbereiten Jungs über Bord, schwammen in aller Eile zu einem etwas entfernt liegenden Anlegeplatz und verschwanden den Kai hinunter.
Die Erkenntnis, einem Schwindel aufgesessen zu sein, traf mich wie eine Karrenladung nasser Sand.
Im nächsten Augenblick schrie ich auf vor Sorge um Papas Glasladung. Zum Glück lag der innere Hafen geschützt, so daß kaum Wellengang herrschte, außerdem manövrierten gerade keine größeren Schiffe. Das verlassene Ruderboot hatte heftig geschaukelt, als Gaius und Phlosis über das Dollbord sprangen, aber es war nicht gekentert. Petronius setzte von seinem eigenen Boot über und hielt dann die beiden Boote zusammen, damit auch Fusculus hinüberklettern konnte. Petronius konnte wahrhaft rudern; mit langsamen Schlägen brachte er mein kostbares Gut wieder zu mir, während seine eigenen Bootsleute in höchster Geschwindigkeit zum Ufer stürmten. Immer noch brüllend, sprangen sie aus dem Boot und rannten Gaius und Phlosis nach.
Die beiden Diebe waren mir egal; mich kümmerte nur Papas Schatz. Petronius warf mir ein Tau zu, während Fusculus den Kopf schüttelte ob meines knappen Davonkommens. »Denen bist du ja schön auf den Leim gegangen! Ein hübsches Beispiel ihrer Kunst«, informierte er mich wissend.
»Ach ja?«
»Sie stehlen ein Boot, paddeln dann an den Kais entlang und suchen nach einem Dummkopf, der gerade erst im Hafen angekommen ist und Waren zu befördern hat. Zum Glück erkannten unsere beiden aufrechten Jungs das Boot. Es gehört einem Freund von ihnen, also wußten sie, daß deine Helden es geklaut haben mußten.«
Die trübseligen Einzelheiten wollte ich gar nicht hören, half ihm aber trotzdem an Land. »Du bist wohl Experte für solch üble Tricks, was, Fusculus?«
»Fusculus studiert die Unterwelt sehr eifrig«, meinte Petro grinsend. Dankenswerterweise war er ein zu guter Freund, um mich offen für meinen Mißgriff zu verspotten.
»Balbinus hatte eine Bande, die an den Kais am Emporium auf diesen Kniff spezialisiert war«, sagte Fusculus. »Du würdest staunen, Falco, wie leicht sich müde Reisende übers Ohr hauen lassen.«
»Das erstaunt mich nicht im geringsten«, grummelte ich.
Die zwei Ruderer, die das Beinahe-Unglück abgewendet hatten, kamen zurück. Sie hatten meine beiden Gauner nicht erwischt. Wir luden die Hälfte des Glases aus dem ersten Boot aus und packten es schwitzend und fluchend in das zweite Boot um, damit das Gewicht gleichmäßig verteilt war und wir auch selbst noch Platz fanden. Petronius, Fusculus und ich begleiteten die kostbare Fracht bis zur Barke in Ostia. Erst nachdem alle Kisten umgeladen waren, hatte ich das Gefühl, mich entspannen zu können.
Erschöpft von unseren Abenteuern, lagen wir im herbstlichen Sonnenschein an Deck, während die Barke durch die Untiefen manövrierte und langsam den schlammigen Tiber nach Rom hinaufschwamm.
VII
Helena Justina hatte mich nicht heimkommen hören. Sie war dabei, meine Kletterrose neu zu befestigen, ein langes dürres Gewächs, das auf dem schmalen Balkon vor meiner Wohnung im sechsten Stock um Wasser und Nahrung kämpfte. Einen Augenblick lang konnte ich Helena beobachten, während sie mich noch nicht bemerkt hatte.
Helena war groß, von aufrechter Haltung, dunkelhaarig und ernst. In fünf Tagen würde sie ihren fünfundzwanzigsten Geburtstag feiern. Als ich sie kennenlernte, hatte das Eheleben in größtem Luxus, aber mit einem unsensiblen jungen Senator sie bitter und schweigsam werden lassen. Sie war gerade von ihm geschieden worden und hatte keinen Zweifel aufkommen lassen, daß jeder, der ihr in die Quere kam, mit Fußtritten rechnen durfte. Fragen Sie mich nicht, wie ich dieses Problem umschiffte – aber das Schreiben meiner Memoiren versprach lustig zu werden.
Erstaunlicherweise hatten die zwei Jahre, in denen sie mit mir Skandale und Schmutz überlebt hatte, die harte Schale weicher werden lassen. Vielleicht lag es daran, daß sie geliebt wurde.
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