Gnadenfrist
unbeschreiblich. Arbeiter aus Ostia strömten auf der durch Handelsgärtnereien und Blumengärten führenden Straße herein oder kamen per Boot durch den Claudius-Kanal (der dringend erweitert und ausgebaggert werden müßte): Schreiber, Zollinspektoren, Schiffseigner und Warenbesitzer, die sich mit Passagieren und Trägern auf den Molen drängten. Wir waren unausgeschlafen, und das Gelände war uns fremd. Irgendwie beraubte uns dieses ganze Durcheinander unserer Autorität. Petronius und ich waren erschöpft und fluchten genau wie all die anderen Fremden.
»Tut mir leid, daß ich dich da reinziehe«, meinte ich bedauernd. Doch Petro ließ sich nicht so schnell kleinkriegen. Wir hatten schon schlimmere Sachen gemeinsam durchgestanden. Balbinus hatte eine trübe Stimmung bei uns ausgelöst; wir waren froh, ihn nun vergessen zu können. Für meinen Vater, der als Auktionator tätig war, warfen wir uns wie Helden ins Getümmel. Der Mann nervte mich zwar ohne Ende, hatte uns aber zumindest die Möglichkeit verschafft, noch ein bißchen hier am Meer zu bleiben.
Mein Vater hatte die Angewohnheit, mir nichts als Ärger einzubrocken. Seit dem Tag – ich steckte noch in der Kindertunika –, als er von zu Hause durchgebrannt war, widerte mich so ziemlich alles an, was er tat. Ich hielt mich nach Möglichkeit von ihm fern, aber er schaffte es immer wieder, sich in mein Leben einzuschleichen, egal, wie sehr ich mich dagegen wehrte.
Er war gescheit gewesen und hatte mich nicht gebeten, ihm zu helfen und bei meiner Syrienreise auch an seinen Geldbeutel zu denken. Als er von unserem exotischen Reiseziel erfuhr, hatte er statt dessen Helena beauftragt. Helena Justina, meine Freundin, die als Tochter eines Senators aufgewachsen war, hielt Papa für einen liebenswürdigen Schlawiner. Sie meinte, ich sei zu streng mit ihm, wollte, daß wir alle gute Freunde waren. Das gab Papa die Möglichkeit, sie zu allerlei krummen Dingern zu verleiten, vorzugsweise hinter meinem Rücken.
Obwohl er behauptete, mittellos zu sein (eine mitleiderregende, aber völlig unzutreffende Klage), war es meinem Vater gelungen, Helena unterzujubeln, sie möge mich doch bitte nach Tyrus schleppen – und ihr einen Wechsel über zweihunderttausend Sesterzen zu geben. Sie hatte freie Hand, diese exorbitante Summe auszugeben. Er schien ihrem Geschmack zu vertrauen. In den dreißig Jahren meines Lebens hatte er mir mit seinem Privatvermögen nie solche Freiheiten gestattet.
Natürlich hatten wir ebenfalls investiert. Zu einem der reichsten Märkte des Imperiums zu reisen und nicht billig von den Karawanen einzukaufen, wäre doch sinnlos. Hauptsächlich von Helenas Geld, plus meine mageren Ersparnisse, hatten wir so viele Ballen Seide eingekauft, daß wir unsere beiden Familien komplett wie parthische Tanzmädchen einkleiden konnten und immer noch genug verkaufen konnten. Helenas Exmann hatte Pfeffer importiert, also hielten wir uns da zurück, es blieben aber immer noch – verpackt in aufreizend duftende Fässer – genügend andere Gewürze zum Heimbringen übrig. Außerdem hatten wir Weihrauch und andere Duftstoffe gekauft. Ich hatte noch ein paar Extradinge auf den Märkten erstanden, wenn Helena gerade nicht hinsah. Und schließlich, als ich schon meinte, wir könnten endlich nach Hause fahren, hatte Helena Justina mich überredet, noch Glaswaren für Papa zu kaufen.
Das Handeln hatte sie mir überlassen, obwohl sie selbst in einer Weise mit ihrem tragbaren Abakus umging, daß den Händlern der Schweiß ausbrach. Sie suchte die Waren aus. Helena hatte ein gutes Auge dafür. Mein Gegrummel mal beiseite, Glas war eine begehrenswerte Handelsware. Mein Vater wußte, was er tat. Wir kauften Schalen und Flaschen, Krüge und Becher in zartem Rosa, metallischem Grün, schwefligem Blau; Vasen, um deren schlanke Hälse sich Schlangen aus geschmolzenem Glas ringelten; winzige Parfümflakons in der Form kleiner Tauben; Krüge mit geschwungener Tülle und kunstvollen Mustern. Dazu Kameenglas, das fast so teuer war wie Weihrauch. Ja, sogar aufsehenerregende Glasurnen.
All dieses Glas war eine große Belastung. Wir waren heimwärts geschlichen – in ständiger Sorge um Papas zerbrechliche Wasserkrüge und Fingerschalen. Soweit ich wußte, war alles noch heil, als wir auf der Providentia in Portus einliefen. Jetzt mußte ich es nur noch den Fluß hinauf nach Rom befördern. Wenn ich Helenas privater Halbgott bleiben wollte, mußte ich dafür sorgen, daß ich nicht mit
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