Gnadenfrist
öffentlichen Interesse. »Was ich denke, ist zweitrangig.«
»Hach! Das wär ja was ganz Neues … Vielleicht ist gar nichts passiert«, meinte Helena.
»Sieht mir aber sehr danach aus.« Helena war schon einmal schwanger gewesen und hatte eine Fehlgeburt gehabt, bevor sie es mir überhaupt gesagt hatte. Seit damals hatte ich mir geschworen, nie wieder außen vor zu bleiben. Es war nicht leicht gewesen, die Sache im Auge zu behalten, glauben Sie mir. Helena gehörte zu der Art Mädchen, die aus der Haut fahren, wenn sie sich unter Beobachtung fühlen. »Na gut, die Zeit wird zeigen, ob ich recht habe.«
»Und es bleibt noch viel Zeit«, murmelte sie. Zeit wofür? fragte ich mich.
Das Kind würde natürlich illegitim sein. Es würde den Rang seiner Mutter haben – absolut wertlos, wenn dazu nicht auch ein väterlicher Stammbaum gehörte. Freigelassene Sklaven hatten größere Chancen.
Damit konnten wir fertigwerden, falls es je dazu kam. Was unsere Beziehung, so oder so, vermutlich zerbrechen lassen würde, fände lange vor der Geburt des armen Wesens statt.
»Ich will dich nicht verlieren«, erklärte ich abrupt.
»Das wirst du auch nicht.«
»Schau, ich finde es nur fair, wenn ich dich frage, was du tun wirst.«
Helena runzelte die Brauen. »Marcus, warum kannst du nicht wie andere Männer sein und den Kopf in den Sand stecken?« Vielleicht machte sie nur Spaß, aber sie klang ernst. Ich kannte diesen Gesichtsausdruck; sie war nicht bereit, darüber nachzudenken. Sie hatte nicht vor, darüber zu reden.
»Laß mich wenigstens das sagen, was ich sagen muß.« Ich versuchte, den Mann im Haus zu spielen, wofür ich normalerweise nur ausgelacht wurde. »Ich kenne dich. Du wartest, bis ich zum Forum gehe, damit du dir ungestört Sorgen machen kannst. Wenn du dich dann zu etwas entschlossen hast, wirst du es ganz allein durchführen wollen. Und ich muß dir hinterherrennen wie ein Bauernjunge, der auf dem Markt vergessen wird, wenn die Karren nach Hause fahren.«
»Du wirst mich schnell einholen«, erwiderte sie mit einem schwachen Lächeln. »Ich kenne dich auch.«
Ich wußte nur wenig von dem, was sie damals allein durchgemacht hatte. Es war besser, nicht daran zu denken.
Rechtlich gesehen, beraubte ich mit jedem Tag, den ich sie bei mir behielt, ihren vornehmen Vater. Sobald das Ergebnis unserer Unachtsamkeit sichtbar wurde, würde man Helena streng ermahnen, ihr Leben in Ordnung zu bringen. Die einfachste Lösung für ihre Familie wäre eine rasch arrangierte Hochzeit mit einem Senator, der entweder zu dämlich war, etwas zu merken, oder langsam dahinsiechte. »Helena, ich will nur, daß du mir versprichst, mich, wenn Entscheidungen zu treffen sind, in diese einzubeziehen.«
Plötzlich lachte sie, ein angespanntes, atemloses, trockenes Lachen. »Ich denke, wir haben uns bereits in Palmyra entschieden, Marcus Didius!«
Ihre Förmlichkeit schmerzte wie ein Seziermesser. Dann, als ich gerade dachte, ich hätte sie endgültig verloren, schloß sie mich in die Arme. »Ich liebe dich sehr«, stieß sie hervor – und küßte mich völlig überraschend.
Darauf gab es keine Antwort.
Wenn aber andererseits eine Senatorentochter einem Plebejer sagt, daß sie ihn liebt, ist dieser Mann berechtigt, einen gewissen Stolz zu empfinden. Danach läßt man sich nur allzu leicht von dem Angebot verführen, zum Essen hereinzukommen. Und es gibt eine häusliche Routine von noch weitaus verruchterer Natur, die dem Essen mit einer Senatorentochter folgen kann, so es einem denn gelingt, eine dieser exotischen und hinreißenden Kreaturen aus dem Haus ihres vornehmen Vaters zu locken.
VIII
Einer Frau zu erlauben, mich abzulenken, gehörte für mich zur Routine. Am nächsten Morgen war ich immer noch entschlossen. Viele unfähige Schreiber hatten meine Dienste in Anspruch genommen, um hinter herzlosen Frauen herzujagen, die sie zum Narren hielten; ich war es gewöhnt, daß man mir die sinnlichsten Bestechungen anbot, um mich meinen Auftrag vergessen zu lassen.
Natürlich nahm ich diese Bestechungen nie an. Und natürlich würde Helena Justina mit ihrem aufrechten, moralischen Charakter nie versuchen, mich durch schamlose Mittel zu beeinflussen. Sie war mit mir am Abend zuvor aus dem gleichen Grund ins Bett gegangen, aus dem sie es immer getan hatte: weil sie es wollte. Und am nächsten Tag schaute ich dem Problem genauso ins Auge, weil ich es wollte.
Helena wich mir weiterhin aus. Was ihre Gefühle betraf, hatte ich
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