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Gnadenfrist

Titel: Gnadenfrist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lindsey Davis
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rausschauten.
    Diese Seite der Brunnenpromenade lag etwas weiter hügelabwärts als unsere, so daß wir jetzt fast in Augenhöhe mit der vertrauten Reihe kleiner Läden auf der anderen Straßenseite waren: der Schreibwarenhändler, der Friseur, der Beerdigungsunternehmer, lauter Verschläge in einer düsteren Kolonnade. Darüber erhoben sich fünf Stockwerke gleich aussehender Wohnungen – so stellt sich ein überbezahlter Architekt einen durchdachten Entwurf vor. Die wenigsten Architekten lassen sich allerdings so weit herab, in den von ihnen entworfenen Mietskasernen zu wohnen.
    »Ist das unser Wohnblock?«
    »Nein, der daneben.«
    »Da scheint was frei zu sein, Marcus. Kannst du lesen, was da steht?«
    »Ich glaube, das ist für einen der Läden im Parterre.«
    Helenas scharfe Augen hatten das Gekritzel an der Mauer entdeckt, das man im allgemeinen übersieht. Ich ging mit ihr nach unten und über die Straße, um es genauer zu studieren. Das Kreidegekrakel galt einer Werkstatt. Es kündigte »gut geschnittene Räumlichkeiten für Kunsthandwerker mit dazugehöriger Wohnung« an, war aber nur eine feuchte Bude mit einer unmöglichen Leiter zu einem scheußlichen Hängeboden. Daran schlossen sich zwei kleine Wohnräume an, die aber nur für fünf Jahre zu mieten waren. Wer wußte, wie viele Kinder ich bis dahin versehentlich gezeugt hatte und wieviel Platz ich brauchen würde, sie alle unterzubringen?
    Fröstelnd ließ ich mich von Helena wieder auf die Brunnenpromenade hinausziehen. Die schmuddelige Hündin hatte uns wiedergefunden und betrachtete mich hoffnungsvoll. Sie mußte gemerkt haben, wer von uns das weiche Herz hatte.
    Da der Friseur keine Kundschaft hatte, ließen wir uns niedergeschlagen auf seine beiden Stühle plumpsen. Er grummelte kurz, verschwand dann aber nach drinnen, um sich hinzulegen, was sowieso seine Lieblingsbeschäftigung war.
    »Du weißt, daß wir überall wohnen können«, sagte Helena ruhig. »Ich habe Geld …«
    »Nein. Die Miete bezahle ich.«
    Als Senatorentochter besaß sie zwar viel weniger als ihre beiden Brüder, aber wenn sie sich mit einem im Rang zu ihr Passenden verbunden hätte, war da immer noch die gewaltige Mitgift, die seit ihrer verpatzten ersten Ehe herumlag, plus diverser Legate weiblicher Verwandter, die das Besondere an ihr erkannt hatten. Nie hatte ich mir gestattet, die exakte Höhe ihres Vermögens herauszufinden. Das wollte ich mir nicht antun. Und ich wollte auch niemals ein ausgehaltener Mann sein.
    »Wonach suchen wir dann also?« Jetzt war sie taktvoll. Enthielt sich jeden Kommentars über meinen aufbrausenden Stolz. Was mich natürlich noch mehr aufbrausen ließ.
    »Das ist doch wohl klar. Etwas, wo wir vor Einbrüchen sicher sind. Wo die Perversen, die mir Aufträge geben, dich nicht belästigen können und wir mehr Platz haben.«
    »Platz für eine Wiege und genug Schemel für all deine Schwestern, wenn sie kommen und sich gurrend den Inhalt derselben ansehen wollen?« fragte Helena trocken. Sie wußte, wie sie mich weichkriegen konnte.
    »Mehr Sitzgelegenheiten wären nicht schlecht.« Ich lächelte. »Ich hab gern Gesellschaft.«
    »Du bringst mich gern auf die Palme.«
    »Ich mag dich in jeder Stimmung.« Ich ließ meinen Finger über ihre Kehle gleiten und kitzelte sie ein wenig unter der Borte ihres Gewandes. Sie senkte plötzlich das Kinn und klemmte meinen Finger ein. Ich dachte daran, sie an mich zu ziehen und zu küssen, war aber zu deprimiert. Wer der Öffentlichkeit etwas zum Zuschauen geben will, muß selbstsicher sein.
    Den Kopf immer noch gesenkt, schaute Helena zur anderen Straßenseite. Ich merkte, wie ihre Aufmerksamkeit wanderte. Mit einem Blick zum Himmel warnte ich die Götter: »Achtung, ihr Penner da oben im Olymp. Jemand hatte gerade eine gute Idee!«
    Dann fragte Helena in dem neugierigen Ton, der schon so oft zu Schwierigkeiten geführt hatte: »Wer wohnt eigentlich über dem Laden des Korbflechters?«
    Der Korbflechter hatte den übernächsten Laden nach Cassius, dem Bäcker. Er teilte sich die Vorderfront mit einem Kornverkäufer – auch ein eher ruhiges Geschäft ohne große Geruchsbelästigung. Darüber erhob sich ein typisches Mietshaus, ähnlich dem unseren und mit den gleichen überarbeiteten, unterbezahlten Bewohnern. Da hing zwar nirgends ein Schild »Zu vermieten«, aber die Fensterläden der Wohnung im ersten Stock waren geschlossen und waren es meines Wissens nach immer gewesen. Ich hatte nie jemanden hineingehen

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