Gnadenfrist
zu sagen. Aber seit er mit Lenia verlobt war, trieb er sich dauernd hier rum; er würde uns beim Rein- und Rausgehen entdecken. Da half nur Vorsicht – oder Erpressung. Also beschimpfte ich ihn erstmal wegen der baufälligen Räume über Cassius’ Bäckerei. »Jemand wird den Ädilen melden, daß das Haus eine Gefahr für Passanten ist, und du wirst den Befehl bekommen, es abzureißen, bevor es auf die Straße stürzt!« Smaractus würde alles tun, um das zu vermeiden, weil das Gesetz ihn zwingen würde, das Haus durch ein gleiches oder besseres zu ersetzen. (Der Gedanke, nachher durch höhere Mieten mehr Geld einzustreichen, war zu hoch für sein verschimmeltes Hirn.)
»Wer würde denn so’n Ärger machen?« höhnte er. Ich lächelte zuvorkommend, während Lenia ihm auf den Fuß trat, damit er kapierte, worauf ich hinauswollte. Er würde eine Woche lang humpeln.
»Hab ich dich nicht mit dem Kerl gesehen, der die schiefen Körbe verkauft?« wandte sich Lenia mir zu. Man konnte sich auf der Brunnenpromenade keinen Pickel ausdrücken, ohne daß einem mindestens drei Leute sagten, man solle die Pfoten davon lassen.
»Ich werde ihm helfen, die Zimmer über seinem Laden auszuräumen.«
»Wieso das?« fragte Smaractus mißtrauisch.
»Weil ich ein freundlicher Mensch bin.«
Ich wartete, bis er fast vor Neugier platzte, und erzählte ihm dann, was ich gerade mit dem Korbflechter ausgemacht hatte: Ich würde die Wohnung ausräumen und dafür mietfrei dort wohnen. Nach unserem Einzug würde ich am Wochenende seinen Laden im Auge behalten, was dem Flechter mehr Freiheit gab, sich seiner Familie zu widmen.
Smaractus war sprachlos. Das Wort »mietfrei« existiert nicht im Vokabular eines Hausbesitzers. Ich erklärte ihm, was es bedeutete. Worauf er mit Worten reagierte, die meine langgehegte Vermutung bestätigten: Er war von entlaufenen Tiremesklaven in einem illegalen Schlachthaus großgezogen worden.
»Freut mich, daß du einverstanden bist«, sagte ich. Dann ging ich, während er sich fast an seinem Wein verschluckte.
XV
Am nächsten Morgen fand ich mich bei der Aventinischen Wache ein. Das Hauptquartier des Tribuns der Vierten Kohorte befand sich im Zwölften Bezirk der Piscina Publica, die die meisten Leute angenehm fanden. Neben dem Hauptquartier lag ein Wachlokal für die Patrouillen, wo auch die Ausrüstung zur Feuerbekämpfung verstaut war. In ihrem zweiten Revier, dem Dreizehnten Bezirk, gab es noch ein weiteres Wachlokal, in das sich Petronius nach Möglichkeit verzog. Hier war auch das Büro seiner Ermittlungsmannschaft untergebracht. Es verfügte über eine Zelle für jene Römer, die die Patrouillen auf frischer Tat ertappt hatten, und für solche, die lieber gleich ein Geständnis ablegten, dazu kam noch ein Raum für intensivere Verhöre. Der war zwar klein, aber an den Wänden hingen interessante Metallgerätschaften. Und es war Platz genug, ordentlich mit dem Stiefel ausholen zu können.
Fusculus half vor dem Büro einer alten Frau beim Aufsetzen einer Petition. Im Portikus stand eine Bank für Leute aus der Nachbarschaft, die Beschwerden vorbringen wollten. Der diensthabende Schreiber, ein schlaksiger Junge, der nie viel sagte, beugte sich vor und pulte Dreck aus seiner Sandale, während Fusculus der Alten sehr geduldig durch die Prozedur half. »Ich kann das nicht für Sie schreiben. Nur Sie kennen die Fakten. Am Anfang sollte stehen: An Lucius Petronius Longus, Leitender Ermittlungsbeamter des Dreizehnten Bezirks … Keine Sorge. Das notiert der Beamte automatisch. Von … Dann sagen Sie, wer Sie sind, und erzählen uns, was genau passiert ist. An den Iden des Oktober , oder wann immer es war …«
»Gestern.«
Mit einem Fußtritt brachte Fusculus den Schreiber in Aktion. »Am Tag nach den Iden stahl man mir …«
»Eine Bettdecke.« Die Frau hatte schnell begriffen; das tun Frauen immer, wenn sie erst einen gutaussehenden jungen Kerl rumgekriegt haben, für sie die Arbeit zu tun. »Von Dieben, die sie mir vom Balkon runtergerissen haben. An der Muschelgasse, um die Ecke von der Via Armilustrum.«
»Wert der Decke?« konnte Fusculus mit Mühe einwerfen.
»Ein Denarius!« Vermutlich eine Schätzung.
»Seit wann besaßen Sie die Decke?« fragte Fusculus mißtrauisch. »Woraus war das kostbare Stück denn gemacht?«
»Aus Wolle! Wunderbarster, feinster Wolle. Ich hatte sie zwanzig Jahre lang.«
»Schreib: Wert ein Dupondius! Dann das Übliche: Daher beantrage ich, daß Sie Anweisungen
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