Gnadenfrist
brauchten keine Frauen, die uns dabei halfen.
»Wer von euch wird denn die Führung übernehmen?« fragte Helena neugierig. Ihr fielen stets die unangenehmsten Fragen ein.
»Ich«, sagte Petro.
»Entschuldige mal!« Das hatte ich unter vier Augen mit ihm besprechen wollen, aber jetzt saßen wir in der Falle. »Ich arbeite unabhängig. Ich nehme von niemandem Befehle an.«
»Ich leite diese Ermittlung«, knurrte Petro. »Du wirst mit mir zusammenarbeiten müssen.«
»Mein Auftrag kommt direkt von Vespasian. Er läßt mir immer freie Hand.«
»Nicht in meinem Bezirk.«
»Ich hatte keine Ahnung, daß es da zu Konflikten kommen könnte.«
»Dann hast du nicht nachgedacht!« murmelte Helena.
»Es gibt keinen Konflikt«, sagte Petronius ruhig.
»Nein, nein. Ist alles sonnenklar. Du hast vor, die Arbeit einzuteilen, Befehle zu geben und die Gruppe anzuführen. Dann bleibt mir nur noch, das Büro auszufegen.«
Plötzlich grinste er. »Klingt gut – und ich nehme an, du kannst das.«
»Klar kann ich mit einem Besen umgehen«, nickte ich, ohne jedoch nachzugeben.
»Wir kriegen das schon hin«, meinte Petronius vage.
»Oh, wir können zusammenarbeiten. Wir sind doch schon so lange Freunde.« Das war natürlich genau der Grund, warum unmöglich einer von uns der Anführer sein konnte. Helena hatte das sofort kapiert.
»Sicher«, bestätigte Petro mit einem dünnen Lächeln.
Nichts war geregelt, aber wir beließen es dabei, wollten keine Auseinandersetzung.
XIII
Die Brunnenpromenade verströmte an diesem ruhigen Oktoberabend ihren üblichen heruntergekommenen, stichigen Charme. Ein dünner schwarzer Rauchschleier von Herdfeuern und Lampenruß schwebte träge fünf Fuß über der Straße und lauerte auf Passanten in sauberen Togen und Tuniken. Der beißende Geruch vermischte sich mit den Schwefeldämpfen aus der Wäscherei und dem Gestank ranzigen Bratfettes. Der Bäcker Cassius hatte am Nachmittag Kalbspasteten zubereitet – und offenbar zuviel Wacholder reingetan. Weiter oben hatten Nachbarn Bettzeug über die Balkone gehängt oder lüfteten ihre fetten Hintern auf der Brüstung, während sie Familienmitglieder in der Wohnung beschimpften. Irgendein Idiot hämmerte wie wild. Ein müdes junges Mädchen schleppte sich an uns vorbei und konnte unter der Last der langen Blumengirlanden kaum laufen, die sie den ganzen Tag über für Festgelage in dekadenten, wohlbetuchten Häusern geflochten hatte.
Ein dürrer, schmuddeliger Hund saß vor Lenias Wäscherei und wartete auf einen weichherzigen Menschen, dem er nach Hause folgen konnte.
»Sieh nicht hin«, befahl ich Helena. Ich nahm ihre Hand, als wir die staubige Straße überquerten, um uns von Cassius den Schlüssel für die leerstehende Wohnung geben zu lassen.
Cassius war ein freundlicher Kumpan, obwohl er sich nie dazu herabgelassen hatte, die Verbindung zwischen Helena Justina und mir wahrzunehmen. Er verkaufte ihr Brot zu einem mehr oder weniger annehmbaren Preis; mir steckte er gelegentlich ein altes Brötchen zu, während wir miteinander tratschten. Aber selbst wenn Helena, die edle Hand fest in der meinen, mit mir im Laden erschien, behandelte Cassius uns nicht als Paar. Er betrachtete unsere Verbindung offenbar als unschicklich; tja, da war er nicht der einzige. Ich hielt sie ja selbst für unpassend – was mich allerdings nicht abhielt.
»Ho, Falco!«
»Hast du den Schlüssel für oben?«
»Welcher Blödmann will den denn?«
»Na ja, ich dachte, ich schau’s mir mal …«
»Hah!« unterbrach Cassius, als hätte ich zu behaupten gewagt, einer seiner Vollkornkringel sei verschimmelt.
Wir ließen uns nicht beirren. Also machte er sich auf die Suche nach dem Schlüssel, der, wie er sich dunkel erinnerte, irgendwo hinter Stapeln von Säcken in seinem Mehllager sein mußte. Während wir warteten, daß er den Nagel fand, an den er ihn gehängt hatte, wühlte ich nach interessanten Krümeln in seinen Brotkörben und grinste Helena zu.
»Es stimmt, weißt du. Du schienst dich damals richtig wohl zu fühlen mit Aelia Camillas kleiner Tochter. Ein Naturtalent!«
»Flavia war nicht mein Kind«, erwiderte Helena kalt.
Cassius kam zurück, bewaffnet mit einem Schlüssel, so groß wie eine Ratsche für einen Flaschenzug. Da er neugierig war, ließ er ihn nicht los und stieg mit uns die verfallenen Steinstufen neben seinem Laden hinauf. Nicht alle waren vollkommen weggebröckelt; wenn man sich nahe der Hauswand hielt, konnte einem nicht allzuviel
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