Gnadenfrist
fragwürdigen Person erklärt. Vor allem Philosophen.«
»Oh, die sind natürlich absolut staatsgefährdend!«
»So sagt man. Ich behaupte nicht, daß wir an das glauben, Falco, aber wir wollen vorbereitet sein, falls der Kaiser eine Reinigung anordnet. Unter Nero waren es die Christen. Das hat in letzter Zeit nachgelassen, jetzt können wir uns wieder auf die Schauspieler konzentrieren.«
»Abscheuliche Entartete!« Ich verschwieg, daß ich gerade drei Monate mit einem Wandertheater verbracht hatte. »Wer noch?«
»Griechische Ladenbesitzer.«
»Das ist ja mal ganz was Neues. Was haben die denn ausgefressen?«
»Sie halten ihre Buden Tag und Nacht offen. Die örtlichen Ladenbesitzer finden das ungerecht. Das kann Ärger geben, also führen wir Listen, um die Schuldigen rasch einzusperren, wenn die Prügeleien losgehen und der Dung fliegt.«
Daß er die gleichen Listen über die örtlichen Kaufleute führte, die sich beschwert hatten, konnte ich mir nicht so recht vorstellen.
»Für alle aufrechten Bürger ist es bestimmt eine Beruhigung, daß ihr so wachsam seid!« Ich spürte, daß das noch nicht alles war, und Sarkasmus machte sich breit. »Gibt es sonst noch welche, die die öffentliche Ordnung so gefährden, daß ihr sie beobachtet und ihre Namen auf geheimen Listen verzeichnet?«
»Privatermittler«, gestand Fusculus bedrückt.
XVI
Rubella mampfte immer noch Sonnenblumenkerne.
Er sah aus wie fünfzig. Mußte er auch sein, wenn er die volle Dienstzeit in der Legion hinter sich hatte. Er war oberster Zenturio gewesen; dazu gehören Beharrlichkeit und eine reine Weste. Einst hatte er gesellschaftlich mit mir auf einer Stufe gestanden. Zwanzig Jahre Altersunterschied hatten das geändert: ständige Beförderungen in der Armee, ehrenvolle Entlassung und genügend Geld für den Einkauf in den Ritterstand. Jetzt hatte er das Kommando über tausend Mann; von schlechter Qualität allerdings – die Vigiles bestanden hauptsächlich aus ehemaligen Sklaven –, aber wenn es ihm weiterhin gelang, größere Katastrophen zu umschiffen, konnte er in die Stadtkohorten aufsteigen und vielleicht sogar bis zu den Prätorianern. Rubella war ein gemachter Mann – wenn er auch sein ganzes Leben dafür gebraucht hatte.
Er war groß und kräftig; ruhig; nicht vom Leben ausgelaugt. Sein graues Haar trug er immer noch militärisch kurz, was ihn hart wirken ließ. Er war stark genug, durch bloßes Dagegenlehnen einen Ochsen beiseite zu schieben. Dieses Wissen beruhigte ihn. Rubella hatte sein Tempo gefunden. Er strahlte Gelassenheit aus.
Fusculus stellte mich vor. Rubella unterbrach kurzfristig sein Mampfen. »Danke, daß Sie gekommen sind. Neuzugänge führe ich immer gern selbst ein. Willkommen bei unserer Einheit, Falco.«
Diese Begrüßung war irreführend. Genau wie Petro wollte er mich nicht in seiner Truppe haben. Er wirkte ganz freundlich, aber das war nur Fassade. Ich war ein Außenseiter. Uneingeladen. Würde wahrscheinlich interne Querelen aufdecken.
Andere Beamte hätten mich jetzt nach meiner Arbeit für den Kaiser gefragt. Rubella mußte davon gehört haben. Er hätte alles voreingenommen auseinandernehmen und versuchen können, mich runterzumachen. Aber er verlor kein Wort darüber – eine noch viel schlimmere Beleidigung.
»Sie sind ein alter Kamerad von Petronius.«
»Wir kennen uns seit zehn Jahren.«
»Gleiche Legion?«
»Zweite Augusta. Britannien.«
»Ein guter Mann«, sagte Rubella. »Absolut vertrauenswürdig …« Er wirkte geistesabwesend. »Ich habe mit Petro über unser Vorgehen den Verbrechern gegenüber gesprochen. Er schlug vor, ich solle Sie beauftragen, die Vergangenheit zu beleuchten.«
Die subtile Art, in der Rubella das Kommando übernommen hatte, war mir nicht entgangen. Petro und ich würden also nicht die einzigen sein, die sich um die Beute stritten. Rubella wollte mitmischen. Und jeden Moment war zu erwarten, daß auch noch der Präfekt der Vigiles dazukam. Den Vernehmungsoffizier der Vierten Kohorte – Petros unmittelbaren Vorgesetzten – durfte man ebenfalls nicht vergessen. Und zweifellos hielt sich jeder einzelne Zenturio der sieben Kohorten für den Spitzenmann auf dem Aventin. Wenn ich Arbeit wollte, mußte ich mich ganz schön anstrengen.
»Vergangenheit?« wiederholte ich, ohne mir etwas anmerken zu lassen. Wenn mich ein Klient dafür bezahlte, Geburtsurkunden oder Testamente durchzusehen, tat ich das, aber es zählte nicht gerade zu meinen
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