Gnadenfrist
lassen. Doch da sie Helenas Freundin war, machte sie sich zu unserer Wohnung auf, um sicherzugehen, daß keiner von uns deswegen das Weite gesucht hatte. Wäre rasches Handeln erforderlich gewesen, hätte Maia den weinend Zurückgebliebenen getröstet und sich dann sofort auf die Suche nach dem Ausreißer gemacht.
Während sie noch unterwegs zu uns war, setzte ich mich auf.
»Ich danke dir.«
»Wofür?«
»Für das süße Geschenk deiner Liebe.«
»Ach das!« Helena lächelte. Ich mußte die Augen schließen, sonst hätte ich sie nicht vor Einbruch der Nacht aus dem Bett gelassen.
Dann fragte sie mich über unsere Stippvisite in »Platons Akademie« aus. Diesmal wollte sie Antworten. Ich rollte mich auf den Rücken und verschränkte die Arme unter dem Kopf. Sie lag mit dem Kopf an meiner Brust, während ich ihr meine Eindrücke schilderte und ihr zum Schluß eröffnete, daß ich Lalage von früher kannte.
Helena lachte über die Geschichte. »Hast du es ihr gesagt?«
»Nein! Aber ich hab ein paar beunruhigende Andeutungen gemacht.«
Helena war mehr an dem Ergebnis unserer offiziellen Nachforschungen interessiert: »Hast du ihr geglaubt, als sie behauptete, sie würde nicht zulassen, daß ein anderer ihr Etablissement beschützt?«
»Ja. Lalage als kompetent zu bezeichnen, wäre eine Untertreibung! Sie kann ein Bordell führen und mit Leichtigkeit jeden, der sich einzumischen versucht, fertigmachen.«
»Also hat sie euch vielleicht mehr erzählt, als du denkst«, meinte Helena.
»Was denn zum Beispiel?«
»Vielleicht will sie dort weitermachen, wo Balbinus aufgehört hat.«
»Tja, wir sind uns einig, daß sie ihr Imperium selbst regieren will. Meinst du, es könnte darüber hinausgehen?«
»Warum nicht?«
»Lalage als Chefin der Unterwelt?« Ein alarmierender Gedanke.
»Denk mal darüber nach«, sagte Helena.
Ich schwieg, aber sie wußte, daß ich ihre Vorschläge immer ernst nahm. Grummelnd dachte ich nun über diesen nach, allerdings sehr widerwillig. Wenn wir annahmen, daß Nonnius Albius in die Fußstapfen seines früheren Chefs getreten war, würde sich alles viel leichter beweisen und in Ordnung bringen lassen. Sowie wir aber jemanden Neuen bedenken mußten, ganz zu schweigen von Frauen, wurde die Sache unangenehm komplex.
Helena wollte wissen, ob ich auch zugehört hatte, richtete sich auf und beugte sich über mich. Dann sah ich, wie sich ihr Gesichtsausdruck veränderte. Mit einem plötzlichen Stöhnen glitt sie aus dem Bett und verließ mich. Sie stolperte ins Nebenzimmer, und ich hörte, wie sie sich übergab.
Ich folgte ihr, wartete, bis das Schlimmste vorüber war, legte den Arm um sie und wischte ihr das Gesicht ab. Unsere Blicke trafen sich. Ich sah sie wie ein Mann an, der vernünftiger ist, als sie es verdiente.
»Sag ja nichts!« befahl sie mit immer noch bleichen Lippen.
»Ich denk nicht dran.«
»Vom Abendessen kann es nicht kommen, weil wir noch gar nicht gegessen haben.«
»War wohl auch besser so, wie’s aussieht.«
»Sieht aus, als hättest du recht gehabt«, gab sie in neutralem Ton zu.
In dem Moment ertönte Maias Stimme von der Tür her: »Na, dann herzlichen Glückwunsch! Es ist noch geheim, oder?«
»Solange du es niemandem erzählst«, gab ich zurück und unterdrückte einen Fluch.
»Oh, verlaß dich auf mich!« Maia lächelte verschlagen.
Sie trat ein – eine propere, lockenköpfige Frau in ihrem besten Umhang und den hübschesten Sandalen, um den Ärger, den ich mal wieder verursacht hatte, so recht zu genießen. »Leg sie flach aufs Bett«, befahl sie mir. »Tja, da hast du’s!« zwitscherte sie hilfreich, zu Helena gewandt. »Diesmal hat’s dich erwischt!«
»Oh, tausend Dank, Maia!« knurrte ich, während Helena mühsam hochkam und ich mich ans Putzen machte.
Helena stöhnte. »Sag mir, wie lange das dauert, Maia.«
»Dein Leben lang«, fauchte Maia. Sie hatte vier Kinder, fünf, wenn man ihren Mann mitrechnete, der mehr Betreuung brauchte als der Rest. »Die Hälfte der Zeit liegst du erschöpft in den Kissen und wünschst dir während der anderen Zeit, du könntest dich hinlegen. Soweit ich weiß, geht das nie vorbei. Wenn ich tot bin, komm ich zurück und sag dir, ob es dann besser wird.«
»Genau, was ich befürchtet habe«, erwiderte Helena. »Erst die Schmerzen, und dann wird dir das ganze Leben aus der Hand genommen …«
Sie schienen Witze zu machen, aber eine gewisse Schärfe war unüberhörbar. Helena und meine jüngste Schwester waren
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