Gnadenfrist
andere unerfreuliche Überreste. Es war harte Arbeit, hätte aber viel schlimmer sein können.
Smaractus hatte seinen Gehilfen offenbar erlaubt, hier manchmal ihren Kram abzustellen. Unter verzogenen Gerüstbrettern und zersplitterten Deckenbalken fand ich ein Eimerchen mit ausgezeichneten Nägeln. Einer seiner Deppen hatte eine prima Breitaxt zurückgelassen, die sich gut in meinem Werkzeugsack machen würde. Die Kerle waren unglaublich schlampig. Abdeckplanen waren verschimmelt, weil man sie feucht zusammengelegt hatte. Flaschenzugrollen waren völlig verrostet. In unabgedeckten Kesseln war die Farbe eingetrocknet. Keiner hatte sich die Mühe gemacht, leere Weinflaschen und schmierige Imbißverpackungen mit heimzunehmen, sondern sie lieber unter völlig verhedderte Seile gestopft. Der Inhalt ungeöffneter Säcke war steinhart geworden und ließ sich nicht mehr identifizieren; natürlich hatte nichts ein Schild dran. Smaractus kaufte nie von regulären Baustoffhändlern, sondern bekam überschüssiges Material von Bauunternehmern, die dafür bereits von einem unschuldigen Auftraggeber bezahlt worden waren, der keine Ahnung vom benötigten Material hatte.
Ich räumte das eine Zimmer aus und benutzte es als Lager für noch Verwendbares. Nach zwei Stunden hatte ich eine Menge geschafft und war sehr zufrieden mit mir. Noch einmal ordentlich zupacken, dann war die Wohnung leer, und Helena und ich konnten uns überlegen, was als nächstes zu tun war. Größere Reparaturen waren nicht nötig. Das Streichen der Räume würde bestimmt Spaß machen, wenn ich mich erst einmal dazu durchgerungen hatte. Dank der Bruchbuden, die ich bisher bewohnt hatte, war mein Sinn für Paneele und Fresken nicht sonderlich ausgeprägt; das wäre also mal was ganz Neues. Zunächst aber mußte alles kräftig geschrubbt werden. Mir kam der Gedanke, daß ich, solange ich der Vierten Kohorte zugeteilt war, vielleicht die Feuerwehrmänner überreden könnte, das Wasser herzuschleppen …
Als ich die letzte Ladung runtertrug, entdeckte ich, daß man mir eine alte Bank und eine klatschnasse Tagesdecke für meinen Müllkarren gespendet hatte. Ich zerrte sie runter, warf eine Plane über den Wagenkasten und band sie fest. Dann ging ich ins nächste Badehaus, wusch mir Staub und Schweiß ab und fügte im Geist der Liste der Dinge, die ich beim nächsten Mal mit zur Arbeit bringen würde, Öl und einen Schaber hinzu. Nachdem ich mir den Dreck aus den Haaren gespült hatte, kam noch ein Kamm dazu.
Es war dunkel, als ich in die Brunnenpromenade zurückwanderte. Ich war müde, aber hochzufrieden, wie es einem nach schwerer Arbeit meistens geht. Nach dem entspannenden Bad hielt sich mein Muskelkater in Grenzen. Ich fühlte mich topfit. Um ganz sicherzugehen, trat ich noch mal an meinen Müllkarren und schaute unter die Plane.
Im Halbdunkel hätte ich es fast übersehen. Wäre ich noch beim Schuttabladen gewesen, hätte ich überhaupt nichts bemerkt. Und genauso war es geplant. Typisch Rom: Derjenige, der das Baby hier abgeladen hatte, war ihm mit Sicherheit nicht wohlgesonnen. Der Kleine war niedlich und gluckste vertrauensvoll, aber ein ausgesetztes Baby findet nicht so leicht jemanden, der es haben will – außer es hat das Glück, von einer Frau aufgelesen zu werden, die absichtlich bei den Müllhaufen rumlungert, in der Hoffnung, daß sich jemand eines unerwünschten Neugeborenen entledigen will. In der Brunnenpromenade war niemand so verzweifelt. Der Kleine war eindeutig zum Sterben ausgesetzt worden. Man hatte nicht damit gerechnet, daß ihn jemand finden und mit nach Hause nehmen würde.
Da ich ihn nun mal gefunden hatte, tat ich genau das.
XXV
»So was bringst auch nur du fertig!« stöhnte Helena.
»Dein Glückstag!« sagte ich zu dem Baby. »Hier ist eine nette Dame, die nur darauf wartet, dich zu knuddeln. Hör zu. Sie fliegt auf große braune Augen und ein breites Grinsen …«
»So geht das nicht, Marcus.«
»Genau. Ich bin entschlossen, fest zu bleiben. Ich werde nicht zulassen, daß andere Leute Dinge, die sie loswerden wollen, in meinen Müllkarren packen. Schließlich habe ich dafür bezahlt und selbst genug Kram, den ich loswerden muß.«
»Marcus!«
»Na gut, aber was sollte ich tun, nachdem ich ihn da rausgeholt habe? In die Gosse legen und einfach abhauen?«
Helena seufzte. »Natürlich nicht.«
»Er wird sich einen anderen Schlafplatz suchen müssen. Das hier ist nur vorübergehend.« Es klang gefühllos.
Helena machte
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