Gnadenfrist
Freund. Er hatte meinen Blick auf die nicht ganz so erlauchte Freundin seines erlauchten Vaters bemerkt. »Ich habe Caenis gerade Ihre Geschichte erzählt. Sie war recht beeindruckt.«
Daß die Geliebte des Kaisers Einzelheiten aus meinem Leben unterhaltsam fand, freute mich. Ich bemerkte allerdings, daß Titus uns einander nicht vorgestellt hatte und mich die Dame daher leider nicht mit einem Beutel voll Gold, einem freundlichen Wort und meinem Herzenswunsch belohnen konnte.
»Geht es Ihnen gut?« fragte Titus, als sei meine Gesundheit von größter Bedeutung für den Lauf der Welt.
Ich bejahte. »Und wie geht es der wundervollen Tochter des hervorragenden Camillus?«
Titus Cäsar hatte Helena in der Vergangenheit mehrfach schöne Augen gemacht. Das war einer der Gründe, warum sie und ich ins Ausland gereist waren – falls ihm aufging, daß seine Affäre mit der Königin von Judäa endgültig dem Untergang geweiht war und er sich in Rom nach einem Ersatz umschaute, wollten wir weg sein. Während Helena einen perfekten Ersatz für die schöne, temperamentvolle und etwas verderbte Königliche abgeben würde, stände ich mit leeren Händen und wenig Hoffnung darauf da, daß Königin Berenike mit mir als quid pro quo vorliebnehmen würde. Also war ich strikt gegen einen Tausch. Ich dankte Titus für die Nachfrage und machte dann eindeutig klar, was Sache war: »Helena Justina ist bei blühender Gesundheit – und erweist mir die unermeßliche Ehre, meinen Erben zu erwarten.«
Falls ihn das unerwartet traf, verbarg er es gut. »Ich gratuliere Ihnen beiden!« Titus Cäsar hatte die Gabe, so zu klingen, als würde er genau das meinen, was er sagte.
»Vielen Dank, Hoheit«, erwiderte ich ein wenig düster.
Eine kurze Pause entstand. Titus blickte versonnen auf die nur verschwommen erkennbaren Hecken. Ich unterdrückte jedes Überlegenheitsgefühl. Dem ältesten Sohn des Kaisers eine überzubraten, war nicht sehr klug. Jeder wußte, daß Titus ein sonniges Gemüt hatte, aber er konnte mich ebensogut auf dem kürzesten Weg in den Hades schicken.
»Das wird eine schwierige Zeit für Sie werden, Falco. Kann ich etwas für Sie tun?«
»Ich glaube nicht, Hoheit. Vor einiger Zeit hatte ich Helena und ihren Eltern das allzu voreilige Versprechen gegeben, mich um meinen sozialen Aufstieg zu bemühen und sie zu heiraten – aber Ihr Bruder sagte mir, daß der Ritterstand rein gehalten werden müsse und ich nicht dafür geeignet sei.«
»Das hat Domitian gesagt?« Titus schien nichts davon zu wissen. Ich nahm es ihm nicht übel. Rom war voll von eifrigen Möchtegernaufsteigern; man konnte nicht erwarten, daß er sie alle im Kopf hatte. Diejenigen im Auge zu behalten, denen seine Familie einen Arschtritt verpaßt hatte, könnte allerdings vernünftig sein.
»Sie werden sich über das Urteil Ihres Bruders gewiß nicht hinwegsetzen wollen, Hoheit.«
»Oh, gewiß nicht«, stimmte Titus zu, obwohl ich seine leichte Verärgerung darüber spürte, daß sein Bruder mich so verletzt hatte. In der Öffentlichkeit verhielt er sich Domitian gegenüber loyal, aber seine Privatmeinung mochte interessant sein. »Sie haben also eine schlimme Zeit durchgemacht. Ich habe gehört, daß man Sie in Staatsangelegenheiten nach Nabatäa geschickt hat, wo Sie auf Schwierigkeiten gestoßen sind.«
»Mit Nabatäa gab es keine Schwierigkeiten«, korrigierte ich ihn. »Nur mit dem Hai, der mich dorthin geschickt hat.«
»Anacrites! Irgendwann würde ich gern Ihre Version der Geschichte hören«, bot mir Titus in freundlichem Ton an. Woraufhin ich mich besorgt fragte, welche Version der Geschichte Anacrites ihm bereits aufgetischt hatte. Ich schwieg. Titus kannte mich lange genug, um zu merken, daß ich wütend war. Manchmal sind Beschwerden wirkungsvoller, wenn man die Leute ins Schwitzen bringt. »Mein Vater hätte gern einen Bericht – wenn Sie das in Erwägung ziehen könnten.« Nichts ist schöner, als einen Prinzen bitten zu hören. »Wir brauchen eine vertrauliche Einschätzung der Situation in der Wüste.«
Ich lächelte und zog ohne ein Wort eine schmale Schriftrolle aus meiner Tunika. Helena, das kluge Mädel, hatte mich nicht nur gezwungen, meine Erkenntnisse aufzuschreiben, sondern auch vorausgeahnt, daß ich heute abend Gelegenheit finden mochte, meine Hausarbeit abzuliefern. Auf diese Weise konnte Anacrites den Verdienst nicht für sich beanspruchen. Er würde nicht mal erfahren, was ich zu sagen hatte.
»Vielen Dank«, sagte Titus
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