Gnadenfrist
Atemzüge später war ich eingeschlafen. In meinen Träumen wußte ich, daß Helena wachlag und sich für mich Sorgen wegen meines Auftrags machte.
Zu diesem Zeitpunkt war das erste Opfer bereits gefoltert, ermordet und seine Leiche weggeschafft worden.
XXVIII
Petros Pfiff von der Straße weckte mich. In der Wohnung war es noch dunkel.
Wir waren so lange befreundet, daß er mich selbst von draußen und sechs Stockwerke tiefer wecken konnte. Ich wußte, daß er es war. Als ich mich zur Balkonbrüstung schleppte und hinunterschaute, stand er unten mit einem Mann von der Patrouille. An der Haltung seines Kopfes sah ich, daß er mich verfluchte, weil ich so lange brauchte. Ich pfiff ebenfalls, er schaute hoch und winkte eilig. Ohne Fragen zu stellen, rannte ich runter und zog mir auf dem Weg meine Tunika an.
»Morgen, Petro. Es ist doch nichts mit der Katze, oder?«
Er knurrte. »Stollicus hatte recht, Falco! Du bist ein nervtötender, unverschämter, verpennter Hund.«
»Stollicus hat nur meinen Charme mißverstanden. Was ist los?«
»Leiche im Forum Boarium. Klingt nach Ärger.«
Ich hielt meine Neugier im Zaum. In der Zeit, die ich zum Runterrennen gebraucht hatte, waren Petro und der Fußsoldat schon ungeduldig ein Stück die Straße hinuntermarschiert. Rasch trabten wir zum Ende der Brunnenpromenade, dann hügelabwärts und holten unterwegs Fusculus ab. Petro mußte auf dem Weg zu mir an seine Tür geklopft haben, denn er wartete schon auf uns und war erstaunlich wach für diese frühe Stunde.
»Morgen, Chef. Wie geht’s der Katze?«
»Laß den Quatsch, Fusculus.«
Weder Fusculus noch der Vigile grinste. Petros Männer wußten, wie man einen Vorgesetzten auch ohne das reizen konnte.
Am Ende des Clivus Publicus sahen wir Martinus aus seinem Haus kommen, herbeizitiert von einem anderen Mitglied der Vigiles. »Frag ja nicht nach der Katze«, warnte Fusculus. Martinus hob nur spöttisch eine Augenbraue und schwieg auf eine Art, die Petro noch mehr reizte. Martinus durfte grinsen, weil er auf den Witz hatte verzichten müssen. Petronius, der die längsten Beine von uns hatte, machte Riesenschritte, und wir anderen mußten uns beeilen.
Es wurde gerade hell. Das fahle Licht, die leeren Straßen und unsere hallenden Schritte verstärkten das Gefühl der Eile. Hinter dem Tempel der Ceres umgab uns der graue, feucht vom Fluß aufsteigende Nebel.
»Warum muß so was immer vor dem Frühstück passieren?« grummelte Petro.
»Die laden die Leichen bei Nacht ab, damit die Frühpatrouille sie im Morgengrauen findet«, erklärte Martinus. Natürlich wußte Petronius das, aber Martinus war nun mal ein ganz Pedantischer. Was Petro schrecklich auf den Wecker ging.
Mir kam der Gedanke, ich könnte Petro einen Gefallen damit tun, seinen Stellvertreter als bestechlich hinzustellen und aus der Truppe entfernen zu lassen. Ja, wenn ich nicht so wahrheitsliebend gewesen wäre, hätte ich Petros Truppe komplett durcheinanderbringen können. Ich konnte jeden anschwärzen, der mir nicht gefiel; das Gegenteil würde sich schwer beweisen lassen. Obwohl keiner was von meinem Auftrag ahnte, fühlte ich mich mies.
»Die machen das absichtlich, Petro, um dir den Morgen zu verderben … Wissen wir, um wessen Leiche es sich handelt?«
Petronius warf einen Blick auf den Wachmann, der mit zur Brunnenpromenade gekommen war. »Noch nicht.« Er schien mit irgendwas hinter dem Berg zu halten.
»Wer hat sie gefunden?«
»Einer von der Wache der Sechsten. Es war in ihrem Bezirk.« Das erklärte Petros Zurückhaltung. In Gegenwart von Mitgliedern einer anderen Kohorte hielt er lieber den Mund. Aber er konnte sich nicht verkneifen zu murmeln: »Scheint mit dem Überfall aufs Emporium zu tun zu haben.«
Wir hatten den Tatort erreicht – zumindest den Fundort des Opfers. Unsere Schritte wurden langsamer, und weitere Fragen erübrigten sich.
Das Forum Boarium liegt im Elften Bezirk, direkt unterhalb des Kapitols, zwischen dem Fluß und dem Startgatter des Circus Maximus. Es gehört zum Velabrum. Dieses sumpfige Tal, in dem Romulus und Remus angeblich von dem Schäfer gefunden wurden, hat eine lange Geschichte. Schon lange, bevor Romulus herangewachsen war und die Sieben Hügel zum idealen Baugrund erklärte, muß es hier eine Anlegestelle und einen Markt gegeben haben. Der rechteckige Tempel des Portunus markierte den Flußhafen zwischen Pons Aemilius und Pons Sublicus. Der kleine runde Tempel des Herkules Viktor, ein hübsches
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