Gnadenfrist
uns herablassend.
Petro zwang sich aufzusehen und nickte Tibullinus kurz zu. »Ihr Revier, aber der hier gehört uns – hängt mit den abschließenden Untersuchungen des Falles Balbinus zusammen. Der Topf stammt aus dem Diebstahl im Emporium, und das Opfer war mein Hauptverdächtiger.«
»Sieht aus wie der arme alte Nonnius«, bemerkte Tibullinus zu Arica. Arica schnalzte theatralisch mit der Zunge. Sie sahen sich jede Wunde gründlich an, pfiffen durch die Zähne; dann grinsten sie. Tibullinus versetzte dem Arm der Leiche einen bösartigen Tritt. Sie hatten eine Gefühllosigkeit, die den Männern der Vierten abging. Während Petros Männer mit dem Geldeintreiber eines Gangsterbosses keine Geduld hatten, solange er lebte, zeigten sie doch einen grimmigen Respekt vor seiner malträtierten Leiche.
Dann hörte ich Martinus zu Arica sagen: »Manche Leute werden trauern, weil sie ihren Zahlmeister verloren haben!« Es war nur eine Stichelei, aber ich war nicht sicher, ob er neidisch oder mißbilligend klang. Arica und Tibullinus schauten einander kaum an. Petro war derjenige, der wütend wirkte und die Bemerkung beiseite wischte. »Vermutlich überlassen Sie mir die Sache nur allzu gerne.« Seine Kollegen machten ihm auf übertriebene Weise Platz. Es mochte Zufall sein, aber Petronius schien ihnen brüsk den Rücken zuzukehren. Mit leiser Stimme gab er Befehle: »Hol dir jemanden zu Hilfe, Fusculus, und bring die Leiche weg. Ich will nicht, daß die ganze Stadt darüber redet. Wenn die Täter damit öffentliche Aufmerksamkeit erregen wollen, muß ich sie enttäuschen. Schafft ihn weg. Nehmt euch ein Brett von einem der Pferche und tragt ihn hinüber ins Wachlokal. Vielleicht kann Scythax ihn sich mal anschauen. Er könnte uns sagen, was genau passiert ist – obwohl es ziemlich offensichtlich ist.« Petro wirkte angespannt. Ich sah, daß die Männer von der Sechsten, nachdem sie wie Generäle auf dem Schlachtfeld herumgestanden hatten, nun wieder abmarschierten. Petro entspannte sich, sowie sie weg waren.
»Wer ist Scythax?« warf ich ein.
»Unser Doktor.« Alle Kohorten der Vigiles verfügten über Ärzte; sie kümmerten sich um die Männer der Patrouillen, deren Arbeit ständig zu Verletzungen führte, und wenn irgendwo ein schlimmes Feuer ausbrach oder Häuser einstürzten, versorgten sie die Opfer vor Ort. »Falco, du und ich, wir sollten zum Haus des Opfers gehen. Und wenn du ins Wachlokal kommst, Martinus, schick einen Trupp Männer los, die sich mit uns bei Nonnius’ Haus treffen sollen. Ich muß es durchsuchen und vermutlich später bewachen lassen. Rubella wird zwar nicht erfreut sein, dafür Männer abzustellen, aber …«
Der Name Rubella ließ mich verstummen.
Auf dem Weg zur Porta Capena kauften wir uns Brötchen und aßen sie im Gehen. Zum Glück machte der Anblick einer Leiche Petro stets schweigsam. Er schien anzunehmen, daß ich genauso reagierte.
Wir gingen an der Nordseite des Circus entlang und dann unter den Appia- und Marcia-Aquädukten hindurch. Als wir aus ihren Schatten traten, öffneten Ladenbesitzer ihre Buden und schrubbten den Bürgersteig. In dieser Gegend gab es ein paar ruhige Wohnstraßen, dazwischen andere, in denen es viel rauher zuging. Interessanterweise waren hier verschiedene Kohorten der Vigiles zuständig. Der Erste Bezirk, den wir gerade betraten, wurde von der Fünften Kohorte bewacht, doch wir waren nicht weit vom Zwölften Bezirk entfernt, der zum Aventin gehörte und damit zum Bereich der Vierten. Auch die viel üblere Gegend um »Platons Akademie« war nicht weit weg – der Circus-Maximus-Bezirk, der Elfte, der wie das Forum Boarium unter die Zuständigkeit der Sechsten Kohorte fiel.
»Petro, hat die Tatsache, daß drei verschiedene Kohorten für dieses Dreieck zuständig sind, irgendwas mit der hohen Kriminalität zu tun?«
»Schon möglich«, erwiderte er. Ich konnte ihm nicht sagen, daß laut Rubella die Vigiles selbst daran aktiv beteiligt waren.
»Arbeitet ihr eng zusammen?«
»Nicht, wenn es sich vermeiden läßt.«
»Gibt es Gründe dafür?« Ich hoffte, es gab einen.
»Ich hab schon genug zu tun, ohne meine Zeit mit ›interkohortischer Zusammenarbeit‹ zu verschwenden«, schnaubte Petro.
»Täusch ich mich, oder sind die Kohorten verschieden?«
»Stimmt. Die Fünfte ist begriffsstutzig, die Sechste ein übler Haufen und wie du weißt, sind wir von der Vierten verkannte Helden, die effizient ihre Arbeit tun.«
Hoffentlich würde ich beweisen
Weitere Kostenlose Bücher