Gnadenfrist
sprach über meine Arbeit. Zwischen uns herrschte Offenheit. Weder Titus noch Vespasian konnten daran was ändern.
Auf den Straßen herrschte in dieser Nacht reges Treiben. Wiederholt fielen mir Gruppen zwielichtiger Gestalten auf, die vor den Klapptüren verbarrikadierter Läden rumhingen. Einmal hörte ich über mir das Kratzen von Fassadenkletterern auf ihrem Weg zu nächtlichen Einbrüchen. Eine Frau rief mir etwas zu, bot ihre Dienste an mit einer Stimme, die vor Unaufrichtigkeit troff; nachdem ich schweigend an ihr vorbeigegangen war, entdeckte ich ihren männlichen Komplizen in der nächsten Gasse, wo er darauf wartete, daß sie ihm Kunden zum Zusammenschlagen und Ausrauben ranschleppte. Ein Schatten glitt von einem langsam rollenden Lastkarren, ein Bündel unter dem Arm. Sklaven, die die Sänfte eines reichen Mannes begleiteten, hatten zerrissene Tuniken und blaugeschlagene Augen, weil sie trotz ihrer Knüppel und Laternen überfallen worden waren.
Eine ganz normale Nacht. Rom, wie es leibt und lebt. Nicht schlimmer als gewöhnlich. Irgendwann hörte ich die Schritte einer Patrouille der Vigiles; im Dunkel lachte jemand verächtlich bei dem Klang.
In der Wäscherei brannte noch Licht. Die nuschelnden Stimmen von Lenia und Smaractus stritten sich aufs heftigste – auch hier alles wie immer. Ich griff durch einen der halbgeöffneten Fensterläden, stibitzte mir eine Öllampe, rief gute Nacht und erschreckte die beiden fürchterlich. Sie waren zu betrunken, um viel zu unternehmen. Lenia fluchte, aber ich war schon auf der Treppe, bevor sie mich reinlocken und sich über ihre Hochzeitspläne auslassen konnten. Mir war nicht nach einem langen Gekakel über die Farbe des Opferschafs. Vor allem war mir nicht nach Smaractus. Punktum.
Die Lampe half mir, Hindernissen auszuweichen. Smaractus hätte Licht zur Verfügung stellen sollen, wenn er nicht vorhatte, die Treppe von Spielzeug und Abfall freizuhalten. Während ich die Stufen hinaufstieg, wurde mein nutzloser, Sesterzen grapschender, Dupondien hortender Vermieter zum Ziel meiner gesamten Frustration und Wut. Wäre er in diesem Moment aufgetaucht, hätte ich ihm glatt den Schädel eingeschlagen …
Aus den Augenwinkeln sah ich eine Bewegung. Ich griff nach meinem Messer, entschied dann aber, daß wohl nur eine Ratte vorbei wollte, und machte mich bereit, ihr einen Fußtritt zu versetzen. Das Rascheln hörte auf; vermutlich der Köter, den Lenia Nux nannte. Das magere Bündel deplazierter Hoffnung winselte einmal kurz, aber ich ging ungerührt weiter.
In der Wohnung angekommen, sah ich, daß Helena Justina zu Bett gegangen war. Beim Licht eines schwach flackernden Lämpchens fand ich das Müllbaby in einem Korb, der aussah, als käme er aus Ennianus’ Laden. Helena hatte das Baby gut eingepackt; anscheinend hatte sie den Kleinen auch gefüttert, denn er war friedlich, obwohl er leise vor sich hinwimmerte. Ich hob ihn aus dem Korb und nahm ihn mit auf den Balkon, damit er Rom gute Nacht sagen konnte. Er roch jetzt sauber und ein wenig nach Milch. An meiner Schulter machte er ein kleines Bäuerchen. Ich ließ einen netten, wohldosierten Rülpser folgen, um ihm zu zeigen, wie man so was richtig macht.
Nachdem ich ihn wieder in den Korb gelegt hatte, bemerkte ich eine Schüssel mit kaltem Fisch und Salat, die auf dem Tisch wartete. Ich aß und goß mir dazu einen Becher Wasser ein. Dann blies ich das Licht aus, damit das Baby nicht verbrannte, und tappte in der Dunkelheit in mein Bett.
Helena hatte geschlafen, wurde aber wach, als ich neben sie kroch. Irgendwie merkte sie, wie sehr mich das Gespräch mit Titus aufgewühlt hatte. Sie hielt mich in den Armen, während ich ihr davon erzählte, und beruhigte mich, als ich zu schimpfen begann.
»Warum muß ich immer diese widerlichen Aufträge kriegen?«
»Du bist Privatermittler. Unerfreuliche Informationen zu sammeln, ist dein Beruf.«
»Vielleicht hab ich es satt, verachtet zu werden. Ich bin es leid, wie ein Idiot dazustehen. Vielleicht sollte ich den Beruf wechseln.«
»Und was willst du dann machen?« murmelte Helena in vernünftigem Ton. »Kannst du dir vorstellen, Geldbeutel zu verkaufen oder Enten zu rupfen?«
»Ich hasse Frauen, die vernünftig sind, wenn mir zum Fluchen zumute ist!«
»Das weiß ich. Ich liebe dich, selbst wenn du mich haßt. Schlaf jetzt«, sagte sie und kringelte sich um mich, so daß ich mich nicht mehr im Bett herumwerfen konnte. Ich seufzte und gab nach. Etwa drei
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