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Gnadenfrist

Titel: Gnadenfrist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lindsey Davis
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Marmorteil, stammte aus einer späteren Zeit, als Tempel dekorativ wurden und, laut meinem Großvater, die Moral verkam.
    Der Rindermarkt hatte sein eigenes, ziemlich abstoßendes Ambiente. Wegen des Leichenfundes war er noch nicht geöffnet worden, was ihn noch schäbiger erscheinen ließ. Das Gelände war in Pferche unterteilt. Ich kam nicht gern hierher, weil es immer nach dem getrockneten Blut toter Tiere roch. Der abscheuliche Gestank war an diesem Morgen so stark, daß mir fast schlecht wurde.
    In der Mitte des Areals stand eine kleine Gruppe von Wachsoldaten, dicht gedrängt um die Leiche am Boden. Etwas weiter entfernt hatten sich zwei Straßenfeger mit offenen Mäulern auf ihre Besen gestützt. Viehhändler, die ihren Geschäften noch nicht nachgehen konnten, standen in Gruppen herum, redeten leise miteinander und wärmten sich die Hände an Bechern mit heißem Würzwein. Die ersten Rinder wurden in einen Pferch am Fluß getrieben. Sie brüllten laut und gequält; vielleicht ahnten sie Schlimmeres als das Schlachten, das sie erwartete.
    Wir gingen hinüber zu der Leiche. Die Vigiles zogen sich zurück und beobachteten uns, während wir ihren Fund anschauten. Die zwei, die uns geholt hatten, traten zu ihren Kollegen. Voller Argwohn überließen sie ihre Entdeckung den Offizieren, an deren sogenannte Sachkenntnis sie nicht glaubten. Schweigend inspizierten wir die Leiche. Es war schrecklich.
    Wir hatten einen Mann unbestimmten Alters vor uns, vermutlich nicht mehr jung. Er lag auf dem Bauch, Arme und Beine ausgestreckt wie ein Seestern – eindeutig kein Unfall. Man sah sofort, daß er gefoltert worden war. Er war barfuß und trug eine ehemals wohl weiße Tunika. Die Tunika war fast vollständig mit Blut vollgesogen. Außerdem wies sie Brandlöcher auf. Seine Waden waren voller Striemen, die wie Peitschenhiebe aussahen. Blutergüsse und Messerstiche bedeckten die Arme. Hier hatten sich Menschen mit perversem Charakter ausgetobt, und ihr Opfer war nur langsam gestorben.
    Oberhalb des Halses war nichts zu sehen. Während der schrecklichen Ereignisse der letzten Nacht hatte man irgendwann seinen Kopf in einen großen Bronzetopf gerammt, in dem er immer noch steckte.

XXIX
    Martinus knüpfte sein Halstuch zu einer Schlinge, beugte sich über das Opfer, legte die Schlinge über den einen Arm und zog an der Leiche, bis sich die Schulter verdrehte und der Tote herumrollte. Mit durchdringendem Kreischen scharrte der Metalltopf über den Boden. Das Vorderteil der Tunika war weniger blutig, aber voller Dreck, als hätte man die Leiche mit dem Gesicht nach unten herumgeschleift. Der Topf blieb, wo er war, festgeklemmt mit einem hineingestopften Umhang. Falls der Mann noch nicht tot war, als man ihm den Topf über den Kopf schob, mußte er während der Folter erstickt sein.
    Petronius ging hinüber zu den Vigiles. »Wann habt ihr ihn gefunden?«
    »Auf unserer letzten Runde.« Ihr Anführer machte klar, daß sie inzwischen eigentlich dienstfrei hatten. »Genau da, wo er jetzt liegt.«
    »Wart ihr schon vorher mal hier?«
    »Zu Beginn unserer Schicht, aber da war er noch nicht da. Während der Nacht sind wir nicht mehr hergekommen. Wir machen zwar unsere Runden durch die Tempel, um Landstreicher und Vagabunden aufzuspüren, aber abgesehen davon haben wir im Boarium nicht viel zu tun. Der Geruch nach totem Fleisch hält die Liebespaare ab.«
    »Je, je!« meinte Petronius höhnisch zu mir. »Die werden auch immer wählerischer …«
    Der Fußsoldat warf ihm einen schrägen Blick zu und fuhr dann düster fort: »Hier gibt’s nichts zum Klauen und nichts zum Verbrennen. Wenn wir niemand sehen, ziehen wir weiter. Es gibt genügend andere Unruheherde.«
    »Das Boarium liegt im Elften Bezirk. Warum habt ihr mich geholt?«
    »Wegen des Topfes.«
    »Des Topfes?«
    »Gestern bekamen alle Kohorten eine Liste: Sachen von diesem Raubzug, nach denen wir Ausschau halten sollten. Sowie wir etwas fänden, sollten wir uns an Sie wenden.« Der Wachmann grinste leicht. Er hatte sehr fleckige Zähne. »Niemand hat erwähnt, daß die Begräbnisurnen voll sein könnten!«
    Petro biß die Zähne zusammen. Wenn es um Mord ging, machte er selten Witze. »Sie meinen den Diebstahl im Emporium? War ein solcher Topf auf der Liste?«
    Der Mann sah Petro mitleidig an. »Soweit ich mich erinnere, stand da ›etruskische Bronzegefäße: Garnitur bestehend aus Krügen, Schöpfkellen, Spießhaltern und einem zweihenkligen Weingefäß‹!«
    »Stimmt!«

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