Gnadenfrist
ernster Natur sind. Hat Nonnius Ihnen irgendwas anvertraut, das uns verraten könnte, wer das hier getan haben mag?« Seiner vorsichtigen Wortwahl nach hatte Petro bei früheren Gelegenheiten offenbar Schwierigkeiten gehabt, Ärzten Informationen zu entlocken.
»Ich glaube nicht.«
»Gut, dann können Sie gehen.«
»Vielen Dank.«
Irgendwie wirkte der Mann seltsam zurückhaltend. Er schien kaum überrascht, seinen Patienten auf diese entsetzliche Art verloren zu haben. Vielleicht weil er wußte, welchem Beruf Nonnius nachgegangen war. Vielleicht hatte er auch einen anderen Grund.
»Sonderbarer Mann«, meinte ich, als wir gemeinsam zum Wachlokal zurückgingen.
»Er ist Arzt«, versicherte Petro mir ruhig. »Die sind immer sonderbar.«
Wenn ich ihn nicht besser gekannt hätte, wäre mir auch Petro seltsam zurückhaltend vorgekommen. Wegen meiner Sonderermittlung für Titus wollte ich, daß Petronius sich auf eine Art verhielt, die ich verstand.
Im Wachlokal hatte Porcius, Petros junger Assistent, große Schwierigkeiten mit einer Frau. Zum Glück für ihn war sie ziemlich alt und nicht gerade ansehnlich. Es handelte sich schon wieder um einen Bettdeckendiebstahl; jemand war mit einer Hakenstange unterwegs und suchte sich als Opfer alte Damen aus, die schon zu klapprig waren, einem Dieb hinterherzurennen. Porcius versuchte, einen Bericht für diese hier aufzusetzen; wir merkten, daß sie ihn den ganzen Morgen festhalten würde, wenn wir ihn nicht retteten.
»Wenden Sie sich an den Schreiber«, sagte Petro brüsk.
»Der Schreiber ist ein begriffsstutziger Esel!« Sie schien sich hier auszukennen. »Dieser nette junge Mann kümmert sich um mich.«
Porcius war ein neuer Rekrut. Er war wild entschlossen, so viele Missetäter wie möglich dingfest zu machen, hatte aber keine Ahnung, wie er Leute loswurde, die ihm die Zeit stahlen. Petro war unbeeindruckt. »Dieser nette junge Mann hat wichtigere Dinge zu tun.«
»Wenden Sie sich bitte an den Schreiber«, murmelte Porcius verlegen. Im Wachlokal erwartete uns ein häßlicher Anblick: Ein dicker Felsbrocken lag mitten im Raum, dazu die Reste des zerbrochenen Fensterladens, durch den er letzte Nacht geschleudert worden war, und ein zersplitterter Schemel. Petro seufzte und sagte zu mir: »Wie du siehst, werfen die Nachbarn manchmal Schlimmeres nach uns als verrotteten Kohl.«
»Sie haben aber auch ein paar Kohlstrünke in das Luftloch der Zelle gestopft«, sagte Porcius. »Die Leute scheinen zu denken, wir bekämen zu wenig Grünzeug.«
»Na, dann hör lieber auf, dich rührend um alte Omas zu kümmern, und finde raus, wer die Vigiles haßt!«
»Das ist einfach«, meinte Fusculus grinsend und rollte den Felsbrocken zur Tür. »Uns haßt jeder.«
Er brüllte der Patrouille zu, sie solle mit dem Zählen der Espartomatten im Feuerwehrschuppen aufhören und drinnen den Schutt wegräumen.
Um sich bei Petro wieder lieb Kind zu machen, verkündete Porcius nervös: »Einer der Zenturionen saß genau da, wo der Stein landete, aber zum Glück war er gerade pissen. Das Ding hätte ihn sonst umgebracht.«
Petronius, der bisher nur erbost die Brauen gerunzelt hatte, horchte auf. »Hallo. Das hört sich aber übel an. Fusculus, sorg dafür, daß die ganze Kohorte in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt wird. Wir könnten gefährlichen Zeiten entgegengehen.«
Mit immer noch finster gerunzelten Brauen betrat er den kleinen Raum, den er für Verhöre benutzte, doch der war von zwei frisch Inhaftierten besetzt. Einer von ihnen brüllte und tobte rum und erwürgte sich fast mit seinem Halseisen. Der andere schwieg schmollend – ein offenbar gutsituierter Bürger, der gegen die Feuerschutzvorschriften verstoßen hatte und so tat, als sei dies alles ein Alptraum, aus dem ein gewiefter Anwalt ihn befreien würde, vermutlich mit Schadenersatz für Beleidigung und Verleumdung. (Petros gereiztem Gesichtsausdruck nach hatte der Mann recht.) Der kleine schwarze Sklave aus Nonnius’ Haus hockte eingeschüchtert neben ihnen auf der Bank.
Petro war außer sich über das Chaos. »Ruhe!« brüllte er den Halbbesoffenen an; völlig überrascht gehorchte der Kerl sofort. »Fusculus, fang mit der Befragung an und sieh zu, ob wir sie gehen lassen können. Behalt sie nur da, wenn sie völlig uneinsichtig sind. Wir brauchen den Platz. Porcius, laß dir von Fusculus erzählen, was wir über den Mord an Nonnius Albius wissen, und dann bringst du den Kleinen irgendwo hin, wo es ruhig ist, und
Weitere Kostenlose Bücher