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Gnadenfrist

Titel: Gnadenfrist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lindsey Davis
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aufgebrochen worden war, daß sie buchstäblich verschwunden war. »Sie kamen mit einem Karren, auf dem ein Rammbock stand. Ein zugespitzter Baumstamm in einer Halterung. Sie zogen ihn mit einer Schlinge zurück, ließen los, und er krachte mit voller Wucht durch die Tür.«
    Petro und ich zuckten zusammen. Das war ein regelrechter Krieg. Kein Haus in Rom konnte einem solchen Artillerieangriff widerstehen – und nur eine zu allem entschlossene Bande würde es wagen, mit derart illegalen Waffen offen durch die Straßen zu ziehen.
    Im Haus war es jetzt ruhig. Nonnius war unverheiratet gewesen, und von Verwandten war nichts bekannt. Ohne ihn würde der Haushalt zum Stillstand kommen.
    Wir wanderten ungehindert herum und fanden nur wenige der Sklaven, die bei meinem letzten Besuch hier gewesen waren. Vielleicht waren die anderen weggelaufen, entweder auf der Suche nach Freiheit oder aus schierer Furcht. Denn das Gesetz schrieb vor, daß die Sklaven eines ermordeten Mannes so lange der Folter unterworfen wurden, bis sie den Mörder nannten. Jedem, der ihm Hilfe verweigert hatte, drohten schwere Strafen. War der Mann in seinem eigenen Haus ermordet worden, galten die Sklaven als Hauptverdächtige.
    Der Pförtner war sehr hilfsbereit. Er gestand sofort, daß fremde Männer nach Einbruch der Dunkelheit zum Haus gekommen waren, überraschend und gewaltsam die Tür aufgebrochen hatten und an ihm vorbeigerannt waren. Er hatte sich in seinem Kabuff versteckt. Einige Zeit später verschwanden die Männer. Sehr viel später hatte er sich rausgetraut und von den anderen erfahren, daß Nonnius weggeschleppt worden war.
    Keiner der anderen Sklaven wollte zugeben, gesehen zu haben, was mit ihrem Herrn passiert war. Schließlich fanden wir den kleinen Negerjungen, der sein Leibdiener gewesen war; das Kind hockte – immer noch starr vor Angst – unter einem Bett. Es mußte alles mitangesehen haben, aber wir bekamen nichts als ein Wimmern aus ihm heraus. Inzwischen war Fusculus mit einigen Männern der Kohorte eingetroffen. Sanft übergab Petronius einem von ihnen den Jungen und befahl, ihn ins Wachlokal zu bringen.
    »Leg ihm eine Decke oder so was um!« Voller Verachtung für das Flitterröckchen und die nackte, vergoldete Brust des kleinen Schwarzen verzog Petro die Lippen. »Versuch ihm klarzumachen, daß wir ihn nicht verprügeln.«
    »Werden Sie weich, Chef?«
    »Der zittert ja wie Espenlaub. Wir gewinnen nichts, wenn er uns tot umkippt. Los jetzt, wir durchsuchen das Haus.«
    Die Durchsuchung erbrachte einige Hinweise. Nonnius hatte im Bett gelegen. Die Stiefel lagen noch im Schlafzimmer, so, wie er sie hingeworfen hatte, und über einer Stuhllehne hingen Tuniken. Das Bett stand schräg, als hätte man es gewaltsam verrückt. Die Decke hing halb auf dem Boden. Daraus schlossen wir, daß er im Schlaf oder zumindest im Halbschlaf überrascht und weggeschleppt worden war. Ob er noch lebte oder schon tot war, als man ihn aus dem Haus brachte, war unklar; Petronius entschied allerdings, er müsse noch am Leben gewesen sein. Bettzeug und Fußboden wiesen nur wenige Blutspuren auf – nicht genug für die vielen Wunden, die wir an der Leiche gesehen hatten.
    Vermutlich würden wir nur, wenn jemand ein Geständnis ablegte, rausfinden, wohin man ihn gebracht hatte. Vielleicht würden wir es nie erfahren. Was mit ihm in den Stunden nach seiner Entführung geschehen war, konnten wir uns alle lebhaft vorstellen. Die meisten von uns zogen es vor, nicht darüber nachzudenken.

XXXI
    Als wir Nonnius’ Haus verließen, beging jemand den Fehler, genau in diesem Moment dort aufzutauchen. Wir waren noch in Durchsuchungsstimmung und umringten ihn. Es war ein dürrer Kerl in einer hübschen weißen Tunika und mit einer Ledertasche in der Hand.
    »Dürfen wir bitte mal in die Tasche sehen?« Mit ironischem Gesichtsausdruck überreichte der Mann Fusculus die Tasche. Sie war voller Pinzetten, Spachtel und irdener Salbentöpfchen. »Wie heißen Sie?«
    »Alexander. Ich bin der Hausarzt.«
    Wir entspannten uns, blieben aber sarkastisch. »Tja, er wird Sie jetzt wohl nicht mehr brauchen!«
    »Der Patient hat eine tödliche Dosis Prügel bekommen.«
    »Tödliche Messerstiche.«
    »Exitus.«
    »Verstehe«, bemerkte der Doktor und dachte zweifellos an das ihm entgangene Honorar.
    Petronius, der bisher noch nicht mit ihm gesprochen hatte, sagte: »Ich respektiere die Beziehung zu Ihrem Patienten, aber Sie werden verstehen, daß meine Ermittlungen sehr

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