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Gnadenfrist

Titel: Gnadenfrist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lindsey Davis
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gegenüber Frauen war so konservativ wie meine liberal war. Das Seltsame war nur, daß er mit seinem Paternalismus immer viel besser gefahren war als ich – zumindest, bis Helena kam. Damit konnte Petro nicht konkurrieren.
    Ich grinste. »Also, ich würde nicht so weit gehen, sie Verdächtige befragen zu lassen.« Was die Tatsache außer acht ließ, daß ich sie am gleichen Nachmittag als Assistentin mitgenommen hatte. Ein gefährliches Glitzern zeigte sich in Helenas sanften Augen. »Aber es ist doch nichts Schlimmes daran, sie ehrbare Opfer besuchen zu lassen.«
    »Oh, vielen Dank!« murmelte Helena. Definitiv keine Konservative.
    »Es verstößt gegen die Vorschriften«, maulte Petronius.
    Er wurde weich. Helena Justina hatte uns gegenüber einen großen Vorteil: Sie konnte hochnäsigen Familien auf gleichem Fuß begegnen; gesellschaftlich stand sie vermutlich sowieso über den meisten. Wir konnten erkennen, was in ihrem Kopf vorging, aber sie erklärte es uns trotzdem auf ihre höfliche Art: »Ich kann ja sagen, ich hätte mir ihre Adressen erbeten, weil wir wegen unseres eigenen vermißten Kindes verzweifelt wären. Wenn sie meinen, ich käme als Privatperson, verraten sie mir vielleicht mehr, als sie den Vigiles sagen wollten.«
    Petro gab seinen Widerstand auf. »Willst du die besorgte Mutter spielen?«
    Helena sah ihn an. »Gute Übung, Petro. Ich werde bald genug Grund für echte Hysterie haben.«
    Er warf mir einen Blick zu. Ich zuckte die Schultern. »Ja, es stimmt. Ich hätte es dir schon noch erzählt.«
    »Ach, wirklich? Und dabei hast du doch gerade behauptet, das genaue Gegenteil wäre der Fall!« Er tat so, als wolle er beleidigt abziehen, nahm aber im letzten Moment das Müllbaby hoch, das wie ein Pharao auf einem Sack alter Lumpen gethront hatte. Petro, der hingebungsvolle Vater dreier Kinder, lehnte sich gegen den Türrahmen und gab mit seiner Erfahrung an. Das Baby, tolerant wie immer, nahm es hin, daß große zähe Männer auch schwachsinniges Gebrabbel von sich geben. »Hallo, du kleiner Scheißer, was machst du denn bei diesen beiden Exzentrikern?«
    Ich wollte gerade erklären, daß ich, wenn ich mich nicht mit Wildgewordenen herumschlagen müßte, die Eltern des Babys suchen würde, da erschien Martinus in der Brunnenpromenade. Von unserem Eingang im ersten Stock sahen wir ihn, bevor er uns entdeckte. Zunächst wollte Petronius nach drinnen verschwinden, um ihm aus dem Weg zu gehen. Auf der anderen Straßenseite begann Martinus, hastig auf Lenia einzureden. Den Lahmarsch Martinus in Eile zu sehen, brachte Petro von seinem Vorhaben ab.
    Er trat auf die Stufen hinaus und pfiff. Nux bellte ihn lautstark an. Lenia beschimpfte ihn quer über die Straße. Köpfe schossen aus den Fenstern. Passanten blieben abrupt stehen. Käufer kamen neugierig aus den Geschäften. Das war die Vierte Kohorte in diskreter, wirkungsvoller Bestform; bald würde der ganze Aventin wissen, was los war. Jede Chance, das Problem durch einen gewissen Überraschungseffekt zu lösen, war dahin, bevor wir überhaupt erfahren hatten, was das Problem war.
    Martinus wandte sich uns zu. Aufgeregt verkündete Petros Stellvertreter seine Botschaft. Es hatte wieder einen Raubüberfall gegeben – am hellichten Tage. Diesmal waren die Juweliere in den Saepta Julia ausgeplündert worden. Der Umfang der Beute, die Schnelligkeit des Angriffs und die Gründlichkeit des Vorgehens hatten große Ähnlichkeit mit dem Überfall auf das Emporium. Die Siebte Kohorte hatte das Kommando, aber man erwartete, daß sich Petronius der Sache annahm.
    Petro war schon fast auf der Straße, bevor er fluchte, weil ihm einfiel, daß er das Müllbaby noch in den Armen hielt. Er rannte, mit seinen langen Spinnenbeinen drei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe wieder hinauf, schob mir das Kind in den Arm und stürmte davon. Ich reichte das Kind an Helena weiter, befahl Nux, bei ihnen zu bleiben und sie zu bewachen, und sauste hinter Petronius her.
    Ich hatte zwar zum Rennen die falschen Stiefel an, wollte mir aber die Sache keinesfalls entgehen lassen.

XL
    In den Saepta ging es nicht so aufgeregt zu wie neulich im Emporium. Goldschmiede und Juweliere sind viel zurückhaltender und verschlossener als Kaufleute. Sie äußerten sich nur ungern zu ihrem Warenbestand, selbst nachdem er ihnen geklaut worden war. Keiner wollte zugeben, besonders nicht vor den anderen, was er genau besessen hatte, ganz zu schweigen von dem, was ihm abhanden gekommen war. Sie

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