Gnadenthal
Möller.
«Natürlich kommt die ins Programm», fuhr Frieder ihn an. «Das ist eine Supernummer. ‹Zwischen arm und selig› gefällt mir übrigens sehr.»
Martin Haferkamp konnte nicht einschlafen, obwohl er hundemüde war.
Sie gingen ihm alle auf die Nerven: Sibylle, die immer überkandidelter wurde, der missgünstige Möller mit seiner herrischen Maria. Und dann Dagmar – sicher, sie war schon immer ihre ‹Miss Harmony› gewesen, aber doch noch nie auf seine Kosten.
Vielleicht waren dreißig Jahre einfach genug. Vielleicht sollte er nach der Jubiläumstour aussteigen und etwas ganz anderes machen. Er spielte schon lange mit dem Gedanken, einen kleinen Verlag zu gründen und eigene Sachen zu veröffentlichen, neuen Autoren die Gelegenheit zu geben, sich zu äußern, Schräges, Skurriles, kein Mainstream. Vielleicht hatte Kai Lust, mit einzusteigen, das konnte er sich gut vorstellen.
Sie hatten es tatsächlich noch geschafft, das Programm zusammenzustellen. Sibylle hatte dabei zwei Flaschen Wein niedergemacht, alle anderen hatten sich an Nichtalkoholisches gehalten, das Eis war zu dünn, als dass man sich hätte gehen lassen können.
‹Zwischen arm und selig› war kein schlechtes Programm, aber sie hatten schon rundere gehabt. Das lag sicher auch daran, dass Frieders Handschrift fehlte. Seine Sketche hatten eine besondere Leichtigkeit, sie waren gekonnt, und er schrieb sie fast mit links. Das hatte er oft erlebt, wenn sie auf die Schnelle noch einen Kracher brauchten. Wieso war Frieder so aus dem Tritt, dass er nichts mehr zustande brachte?
Hansjörgs Texte waren nicht annähernd ein Ersatz. Den ‹Griechischen Wein› bekam er immer noch nicht runter, aber daran konnten sie bei den Proben hoffentlich noch arbeiten.
Um Viertel vor eins waren sie endlich fertig geworden und bis auf die überdrehte Bylle und Walterfang, der den ganzen Abend fast fieberhaft den großen Versöhner gegeben hatte, todmüde. Frieder hatte trotzdem noch seinen Laptop eingeschaltet und die Texte des neuen Programms rundgemailt. Johanna musste sich Gedanken zum Bühnenbild machen und das entsprechende Equipment besorgen, ebenso Bärbel, die sich um die Kostüme kümmerte. Die beiden würden am Freitag mit einem Kleinlaster anrollen und unterwegs noch Hartmut und sein Piano einsammeln.
Haferkamp fühlte sich klebrig.
Wenn er jetzt duschen ging, würde er das halbe Haus aufwecken, sicherlich Dagmar im Zimmer auf der anderen Seite.
Er tat es trotzdem.
Elf
Er wachte auf, weil ihm kalt war. Erst Viertel nach sieben. Warum hatte er nur die ganze Nacht das Fenster offen gelassen?
Draußen fuhr rumpelnd ein Traktor vorbei, aber im Haus war noch alles still. Er nahm eine Cordhose und einen warmen Pullover aus dem Schrank und zog sich schnell an. Leise ging er ins Bad, wusch Hände und Gesicht, putzte sich die Zähne und beschloss, auf eine Rasur zu verzichten. Ein Luxus, den er sich sonntags auch zu Hause gönnte.
Unten lief er Frau Wegner in die Arme.
«Schon wieder auf dem Weg nach draußen?» Die Köchin setzte eine beleidigte Miene auf. «Früher bist du morgens immer auf eine Tasse Kaffee zu mir in die Küche gekommen und hast versucht, mir meine Geheimrezepte abzuluchsen. Dieses Jahr rennst du dauernd in den Park und guckst dir die afrikanischen Weiber an, dabei habe ich auch ’n schönen Popo.»
Er musste lachen, aber sie stimmte nicht mit ein. «Mal ernsthaft, ihr seid mir viel zu brav dies’ Jahr. Früher habt ihr alle geschmokt wie die Weltmeister, immer meine guten Untertassen als Aschenbecher benutzt und an den beklopptesten Stellen versteckt. Und dann all die Flaschen, die ihr in eurem dullen Kopp nicht weggeräumt habt, und ich musste die dann unauffällig verschwinden lassen. Was ist denn diesmal los mit euch? Ihr trinkt nicht mehr, ihr singt nicht mehr, es wird ja noch nicht mal richtig gelacht. Dabei ward ihr immer meine Lieblingsgruppe, auf die ich mich das ganze Jahr gefreut hab. Also, was ist, ist einer gestorben, hab ich was nicht mitgekriegt?»
«Nein, gestorben ist keiner …»
«Und wo ist eigentlich Johanna? Und den Hartmut habe ich auch noch nicht gesehen.»
«Die kommen später.»
Sie schnalzte tadelnd mit der Zunge. «Ich komme schon noch dahinter. Wie sieht’s jetzt aus, Lust auf Kaffee und warme Hörnchen? In der Küche, bloß wir zwei. Die übrige Belegschaft kommt erst um acht.»
«Etwas Besseres könnte ich mir im Moment nicht vorstellen, Hedwig.»
Sie stellte ihm einen Korb mit
Weitere Kostenlose Bücher