Gnadenthal
Güte», übertönte Frieder das allgemeine Stimmengewirr, «wir stellen Dagmars Sketch erst mal hintenan. Lasst uns zuerst Kais Bush-Pantomime probieren.»
«Es gibt nur ein kleines Problem: Da Hartmut nicht hier ist, haben wir keine Musik.» Diese Spitze konnte Kai sich nicht verkneifen, aber er lenkte gleich ein. Er habe alles mit Hartmut besprochen. Sie hatten sich für Brahms’ ‹Ungarische Tänze› entschieden.
«Das ist die Musik, die bei der Rasierszene in Chaplins ‹Der große Diktator› läuft.»
Er summte die Melodie, und die anderen fielen ein.
«Prima! Okay, Trockenübung. Ich mache George W., für Rumsfeld hätte ich gern Hansjörg und für Condoleezza Rice die Bylle.»
Während der Rest der Gruppe unbeirrt die Melodie summte und Kai eine Glanzvorstellung hinlegte, holperten sich Möller und Sibylle ziemlich hölzern durch die Szene.
«Ihr setzt beide zu viel Mimik ein», erklärte Kai. «Und deine Haltung, Bylle. Schließ die Augen und stell dir die Rice vor.»
Sibylle lächelte hilflos.
«Macht nichts», sagte Kai. «Ich habe ein Video mitgebracht, das können wir uns später anschauen.»
Dann wandten sie sich Martins PISA-Song zu. Da auch hier die Musik fehlte, stellten sich Dagmar, Kai und Frieder zu einer halbherzigen Sprechprobe auf.
«Siehst du endlich ein, was für ein Schwachsinn es war, nur die halbe Mannschaft anrücken zu lassen?», schimpfte Haferkamp.
Frieders dudelndes Handy enthob ihn einer Antwort. Er schaute aufs Display und verließ den Raum.
Haferkamp stellte sich ans geöffnete Fenster und zündete sich eine Zigarette an. Er würde zum Mittagessen in die Stadt fahren, allein.
«Du rauchst wieder?» Rüdiger gesellte sich zu ihm.
Haferkamp nickte nur.
«Schlechte Laune?»
«Wundert dich das?»
«Hört mal zu, Leute», rief Frieder von der Tür her. «Der WDR will morgen kommen und die Proben filmen.»
«Aber sicher doch.» Rüdiger tippte sich an die Stirn. «Die haben ja wohl einen Stich. Als hätten wir sonst nichts zu tun. Wir sind doch ohnehin knapp mit der Zeit.»
«Ich habe zugesagt. Um zehn rollen sie an.»
«Na super, tolle Idee», motzte Maria. «Und was, bitte schön, sollen wir zeigen? Wir haben doch noch gar nichts drauf.»
Frieder seufzte. «Die wollen Probenarbeit sehen, Ria, keine fertigen Ergebnisse.» Er schaute in die Runde. «Ich habe noch ein paar andere Telefonate geführt, denn ich denke, ihr habt Recht, so funktioniert’s nicht. Also, Johanna, Hartmut und Bärbel kommen schon übermorgen im Laufe des Tages.» Eine Reaktion wartete er nicht ab. «Was ist jetzt? Sollen wir uns Kais Video anschauen und dann bis zur Mittagspause an der Pantomime arbeiten?»
«Ich finde das so was von Scheiße, dass du dich einfach vom Acker machst», rief Walterfang ihm hinterher.
«Muss nur kurz zu Hause meine Blumen gießen», sagte Haferkamp grinsend und ging.
Frau Wegner stand am Fenster und ließ sich die Küchendünste aus dem Haar pusten.
«Wo willst du denn hin? Schmeckt dir mein Essen nicht mehr?»
«Doch, sicher, Hedwig. Ich muss nur kurz nach Hause und meine Blumen gießen.»
«Ausgerechnet mittags? Das kannst du deiner Oma erzählen. Wie läufst du überhaupt rum? Du siehst ja aus wie ein Schablönder, nicht rasiert und so ’n lubberigen, ollen Pullover.»
Haferkamp lächelte zerknirscht. «Ich bin heute nicht so gut drauf.»
«Heute Morgen ging’s aber noch.»
«Tja …»
«Brauchst mal eine Pause, wie? Also gut, zieh los, und lass es dir schmecken.»
Er parkte an der Burg, stöberte in den Leseexemplaren, die sich auf seiner Rückbank stapelten, wählte einen Roman aus und lief den Berg hinunter zum Italiener in der Großen Straße.
Eine Stunde später hatte er eine Portion Schneckenà la casa und eine Carpaccio gegessen und zweiundfünfzig Seiten gelesen. Er fühlte sich gut.
Sie waren sich einig, dass Martins Sketch zu Hartz IV große Klasse war, und lachten über die absurden Umschulungsmaßnahmen, die er beschrieben hatte. Am besten kam der Hausmeister an, der zum IT-Manager ausgebildet werden sollte.
«Das heißt übrigens nicht mehr Hausmeister», sagte Rüdiger, «die schimpfen sich jetzt Facility Manager.»
«Im Ernst?», prustete Kai. «Es wird immer bekloppter. Was bin ich dann? Education Manager?»
Schon die erste Probe lief glatt, und wenig später arbeiteten sie hauptsächlich nur noch am Timing. Harmonie machte sich breit und wurde dankbar angenommen, bis sie sich an die erste Leseprobe von
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