Gnadenthal
dürfen?»
«Das tun sie doch gar nicht», antwortete Frieder ungeduldig. «Sie zeichnen nur sechs auf. Auf der Tour können wir so viele spielen, wie wir wollen.»
«Und warum haben wir dann nur sechs ausgesucht?», fragte sie katzig.
«Hört doch endlich auf!» Heinrich Walterfang kämpfte mit den Tränen. «Habt ihr denn alles vergessen? Habt ihr tatsächlich vergessen, wie toll es mit uns war all die Jahre? Wir sind zusammen in Urlaub gefahren, wir haben Freundschaften fürs Leben geschlossen …»
Maria, die neben ihm saß, tätschelte ihm die Hand, und er nickte dankbar.
«Sogar eine Ehe ist daraus hervorgegangen. Ich weiß, einige von euch finden mein Junggesellendasein seltsam, und ein paar teilen meine politischen Ansichten nicht, aber das ist für mich nie ein Problem gewesen.»
Haferkamp litt still vor sich hin, aber Walterfang war noch nicht fertig.
«Für mich …» Er schluckte hart. «Für mich war die Gruppe identitätsstiftend, versteht ihr? Mein Gott, was haben wir zusammen schon für Riesenerfolge gefeiert! Und ich sage euch, wenn wir uns auf den echt professionellen Weg begeben hätten, dann wären wir ganz oben, dann hätten wir längst eine eigene Fernsehshow. Und jetzt geht ihr hin und macht alles kaputt. Das könnt ihr doch nicht tun. Ihr könnt doch nicht alles wegwerfen.»
Endlich unterbrach Frieder ihn. «Du hast ja Recht, Heinrich. Wir sind schon ein ganz besonderer Haufen, und ich bin sicher, keiner von uns stellt unsere Freundschaft in Frage. Jetzt lasst uns endlich diesen leidigen Konflikt vom Tisch räumen. Weißt du, Martin, im Grunde bin ich der gleichen Ansicht wie du. Du kannst nicht ernsthaft glauben, dass mir dieser seichte Mist gefällt, der sich heute Kabarett schimpft. Aber wir können auch die Augen nicht davor verschließen, dass die Zeiten sich geändert haben. Wir leben nicht mehr in den Siebzigern. Ich fürchte, auch wir müssen uns ein wenig anpassen, wenn wir mithalten wollen. Da stellt sich mir die Frage: Ist es nicht besser, scheinbar mit dem Strom zu schwimmen – auf hohem Niveau natürlich – und die Dinge von innen heraus zu verändern?»
Martin Haferkamp holte Luft, aber Dagmar fuhr sofort dazwischen: «Jetzt halt dich mal zurück, Martin. Ich denke, so langsam kristallisiert sich heraus, worum es eigentlich geht. Ich schlage vor, dass ihr beide, Frieder und du, einen langen Spaziergang miteinander macht. Dann kehrt hier vielleicht endlich Frieden ein.»
«Du hast ’n Vogel», sagte Haferkamp und wunderte sich, wie sehr es ihn traf, dass sie ihn derart in den Regen stellte.
«Allmählich könnten wir von der persönlichen Schiene runterkommen», sagte Kai. «Das politische Kabarett steckt seit Jahren in der Krise, das ist wahrhaftig nichts Neues.»
«Ach was», fuhr Frieder dazwischen. «Politisches Kabarett, literarisches Kabarett, Comedy, dieses Schubladendenken ist doch ein typisch deutsches Nachkriegsproblem, genauso wie die Trennung von E- und U-Musik. Das hat es in England zum Beispiel nie gegeben. Wir können froh sein, dass diese Grenzen endlich aufweichen, es ist wahrhaftig höchste Zeit.»
Haferkamp lachte kurz auf. «Wie bitte? Comedy als Überwindung des nationalsozialistischen Traumas? Einen größeren Bockmist hab ich noch nie gehört.»
Kai warf ihm einen scheinbar kritischen Blick zu, aber er sah das Schmunzeln in den Augenwinkeln.
«Nun ja, es stimmt», meinte der, «das Kabarett befindet sich im Wandel. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass auch wir uns verändert haben. Mittlerweile sind wir alle etabliert.»
«Willst du damit sagen, wir sind nicht mehr hungrig genug?», fragte Dagmar. «Das sehe ich aber anders.»
«Mag sein, ich bin mir nicht so sicher. Ich weiß nur, dass ich um etliche Illusionen ärmer bin und sicher nicht mehr der große Weltverbesserer wie vor zwanzig Jahren. Aber was solls. Wenn ich mir unser aktuelles Material anschaue, wie wär’s mit dem Titel: ‹Zwischen arm und selig›?»
«Super!», rief Sibylle. «Echt super, passt irgendwie zu allem, was ich gelesen habe. Lasst uns ein paar Pullen Wein köpfen.»
Sie stieß auf wenig Gegenliebe, aber das machte ihr nichts aus. «Hast du die Bush-Pantomime schon drauf, Kai? Die ist bestimmt zum Schreien.» Sie kicherte. «Fällt die eigentlich unter ‹seriös› oder ‹primitiv›? Komm, lass sehen. Vielleicht bringt das ja ein bisschen Leben in die Bude.»
«Wir wissen doch noch gar nicht, ob wir die ins Programm nehmen», knurrte
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