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Gnadentod

Gnadentod

Titel: Gnadentod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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Schritte, während wir an weiteren Messingvitrinen vorbeikamen. Monochrome Schalen in allen Farben, die rückseitigen Spiegel reflektierten chinesische Inschriften auf weißen Sockeln, kleine schlammfarbene Figürchen, Regale mit Töpferware in Weiß, Mattgelb und Grau und noch mehr von diesem blassen, klaren Grün, das mir am besten gefiel. Wir gingen an einer Reihe geschlossener Türen vorbei; und Safer winkte mich durch eine, die offen stand.
    Wir betraten einen Raum mit einer Decke wie in einer Kathedrale, schwarzen Ledersofas und -sesseln, und einem schwarzen Konzertflügel, der eine ganze Ecke einnahm. Durch die Verandatüren sah man auf einen blaugrünen Pool und grün erleuchtetes Blattwerk hinaus, hinter dem Palmwedel und das Meer vage erkennbar waren. Die Sitzgruppe stand vor Bücherregalen aus Rosenholz, in denen gebundene Bücher, eine Stereoanlage von Bang & Olufsen, ein Sechzig-Zoll-Fernseher, ein Laserdisc-Gerät und anderes technisches Spielzeug standen. Auf einem der oberen Regale waren vier Familienfotos. Drei von Richard und den Kindern und ein Einzelportrait von Joanne als lächelnde junge Frau.
    Richard saß aufrecht auf dem größten Sofa, unrasiert und die Ärmel bis zu den Ellbogen aufgerollt. Sein welliges Haar stand ihm wirr vom Kopf ab, als ob Vögel es auf der Suche nach Material zum Nestbauen attackiert hätten. Er war wie üblich ganz in Schwarz gekleidet und passte sich derart an die Couch an, dass die Konturen seines Körpers kaum auszumachen waren. Dadurch wirkte er sehr klein - wie eine Wucherung, die dem Polster entsprossen war.
    »Da sind Sie ja.« Er klang schläfrig. »Vielen Dank.«
    Ich setzte mich in einen Sessel, und Richard schaute zu Joe Safer hinauf.
    »Ich sehe mal nach den Kindern«, sagte Safer und verschwand. Richard kratzte etwas aus seinem Mundwinkel. Schweißperlen säumten seinen Haaransatz.
    Als Safers Schritte endgültig verklungen waren, sagte er: »Man sagt, er sei der Beste.« Er starrte an mir vorbei. »Das ist unser Wohnzimmer.«
    »Schönes Haus«, sagte ich.
    »So sagt man.«
    »Was ist passiert?«, fragte ich. Das konnte er meinetwegen verstehen, wie er wollte.
    Er antwortete nicht, sondern hielt den Blick auf den leeren Bildschirm über mir gerichtet, als wartete er darauf, dass das Gerät sich von selbst einschaltete und ihm Erleuchtung in irgendeiner Form zukommen ließ.
    »Also«, sagte er schließlich. »Da wären wir.«
    »Was kann ich für Sie tun, Richard?«
    »Safer sagt, alles was ich Ihnen sage, ist vertraulich, es sei denn, Sie nehmen an, ich stelle eine unmittelbare Bedrohung für jemand anderen dar.«
    »Das stimmt.«
    »Ich stelle keine Bedrohung für irgendjemanden dar.«
    »Gut.«
    Er fuhr sich mit den Fingern durch sein Haar und zerrte an den drahtigen Strähnen. »Wir sollten es trotzdem hypothetisch halten. Zum Wohle aller Betroffenen.«
    »Was sollten wir hypothetisch halten?«, fragte ich.
    »Die Situation. Sagen wir, eine Person - ein Mann, auf keinen Fall ein dummer Mann, wenn auch nicht unfehlbar - sagen wir, er gibt sich einem Impuls hin und tut etwas Dummes.«
    »Was für einem Impuls?«
    »Dem Verlangen, eine Sache zum Abschluss zu bringen. Kein kluger Schachzug, in der Tat ist es das Allerdümmste und Wahnwitzigste, das er je in seinem Leben getan hat, aber er ist nicht ganz bei Verstand, weil bestimmte Ereignisse ihn … verändert haben. In der Vergangenheit hat er ein Leben voller Erwartungen geführt. Das soll nicht heißen, er ist ein Optimist reinsten Wassers. Gerade er weiß sehr gut, dass die Dinge nicht immer nach Plan verlaufen. Er hat seinen Lebensunterhalt damit verdient, dass er das begriffen hat. Aber trotzdem, nach all den Jahren des Bauens und Schaffens - und er war sehr erfolgreich - hat er sich in die Falle gestiegener Erwartungen locken lassen. Er denkt, er hätte ein Recht auf einen gewissen Lebenskomfort. Dann erfährt er, dass dem nicht so ist.« Er zuckte mit den Schultern. »Was geschehen ist, ist geschehen.«
    »Sein impulsives Handeln«, sagte ich.
    Er atmete tiefein und lächelte schief. »Er ist nicht ganz bei Verstand, belassen wir es dabei.«
    Er schlug die Beine übereinander und lehnte sich zurück, als wolle er mir Zeit geben, diese Aussage zu verdauen. Ich konnte mir ziemlich genau vorstellen, was er vorhatte: Er bereitete eine Verteidigung wegen verminderter Zurechnungsfähigkeit vor. Safers Rat oder seine eigene Idee?
    »Vorübergehende Geisteskrankheit«, sagte ich.
    »Wenn es dazu kommt.

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