Gnadentod
Rolle?
Ich sagte: »Er klingt ganz so wie Richard.«
»Er ist ganz und gar Richards Sohn. Wie eine kleine Atomwaffe auf zwei Beinen.«
»Und Stacy?«
»Sie sind Stacys Therapeut. Was denken Sie?«
»Hatte sie ein distanziertes Verhältnis zu Joanne?«
»Warum fragen Sie mich danach?«
»Weil es Eric war, der in Joannes letzten Tagen nicht von ihrer Seite gewichen ist.«
Sie schob ihren Teller beiseite. »Alex, ich glaube, Sie haben eine falsche Vorstellung vom Verhältnis unserer beiden Familien. Wir waren Freunde und Nachbarn, haben manchmal im Cliffside zusammen gegessen. Aber sie haben ihre Probleme zum größten Teil für sich behalten, und wir haben unser eigenes Leben gelebt. Richard hat Bob erzählt, dass Stacy sich anscheinend treiben ließ. Soweit ich sehen konnte - und das war nicht besonders weit -, schien sie ein bisschen deprimiert, deshalb hab ich sie zu Ihnen geschickt. Das ist alles. Ich kann mir nicht noch mehr aufladen. Es tut mir Leid, dass ich Ihnen nicht weiterhelfen konnte, aber das ist alles.«
Sie stand auf, marschierte zu unserem Kellner, der mit einem Kollegen sprach, blieb dort ein paar Sekunden stehen, sagte dann etwas, das ihn zurückzucken ließ, als wäre er gebissen worden. Er stolzierte davon, und sie kam zurück und trank ihr Glas im Stehen aus. »Dieser kleine Rotzbengel. Ich warte auf eine Gelegenheit ihm zu sagen, dass wir die Rechnung haben wollen, und er erzählt von seinem letzten Vorsprechen.«
Den Blick strikt zur Seite gerichtet, rannte das Objekt ihres Zorns herüber zu uns, warf die Rechnung auf den Tisch und floh. Judy griff danach, aber ich war schneller.
»Was soll das?«, fragte sie. »Bestechung der Richterin?«
»Ich will der Richterin für ihre Zeit danken«, sagte ich.
»Das ist alles, was Sie von mir bekommen haben«, sagte sie. »Zeit. Heiße Luft, kein Licht.«
Ihr Lexus stand am Bordstein, und ich wartete, bis sie losfuhr. Während ich auf meinen Seville wartete, versuchte ich mir einen Reim auf die letzte halbe Stunde zu machen.
Als sie im Restaurant angekommen war, hatte sie einen enervierten Eindruck gemacht - angespannter, als ich sie je zuvor erlebt hatte -, und jede meiner Fragen schien die Kordel noch weiter zugeschnürt zu haben. Bevor sie losfuhr, warnte sie mich davor, weitere Nachforschungen anzustellen. Also hatte ich eine Art Wunde aufgerissen, hatte aber keine Ahnung, worum es sich handelte.
Ich hatte keine Chance gehabt, das Thema Krankenhäuser anzuschneiden, keine Möglichkeit, es in die Unterhaltung einfließen zu lassen.
Ich hatte sie am Gericht beobachtet, sie die kniffligsten Fälle mit Bravour meistern sehen, also musste das hier etwas Persönliches sein … Das Persönlichste, das sie von sich preisgegeben hatte, war ihr Abscheu vor sich selbst wegen ihrer Fettleibigkeit als Teenager.
Ich war abstoßend … Aber wenn das etwas mit der Familie Doss zu tun hatte, entging mir die Verbindung.
Ich kann mir nicht noch mehr aufladen.
Empfand sie die Familie Doss als Belastung, so wie ihr Mann das tat? Bob, der auf diese Belastung mit Wut reagierte, weil er ein Mann aus einer bestimmten Generation war?
Gab es da irgendeine Art von Intimität, die auf schreckliche Weise in die falsche Richtung gegangen war? Bob, der eifersüchtig auf Richard und Joanne im Swimmingpool gesehen hatte - reduzierte sich alles auf einen weiteren schäbigen Partnertausch in der Vorstadt?
Und hatte das in irgendeiner Weise mit Joannes Verfall zu tun? Etwas, das Richard ihr nicht verzeihen konnte?
Schuld und Sühne. Hatte Eric es herausgefunden?
Eric und Allison trennen sich, Becky geht in eine Therapie, Essstörungen, schlechte Noten, Joanne gibt keine Nachhilfestunden mehr, Stacys Ziellosigkeit, Erics Aussteigen. Bob ist wütend, Judy auf der Kippe … und Joanne ist tot.
Wenn ich das auf eine bestimmte Weise zusammenstellte, würde es sich anhören wie ein psychopathologischer Eintopf.
Aber trotzdem: Was hatte das alles mit Mates Leiche zu tun, die ausgestreckt im Laderaum eines Lieferwagens gelegen hatte, und was mit Geometrie auf Fleisch?
Warum hatte Mate nicht das Verdienst für Joannes Tod in Anspruch genommen?
Der Seville kam quietschend zum Stehen, und der Parkwächter hielt mir die Tür mit einem Gesichtsausdruck auf, der deutlich machte, dass ich es nicht verdiente. Als ich losfuhr, ging ich alles noch einmal durch und gelangte endlich zu dem Schluss, dass ich meine und Judys Zeit verschwendet und mit an Sicherheit grenzender
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