Gnadentod
eine Rolle intravenöser Schlauch, steril verpackte Hohlnadeln in verschiedenen Größen, Verbandsmullrollen, Einwegspritzen, kleine Ampullen mit kleingedruckten Etiketten.
Thiopental. Kaliumchlorid.
Das Köfferchen wurde von einem Detective des Sheriffs in Verwahrung genommen, der sich jedoch nicht einmal die Mühe machte zu fragen, wofür die goldenen Initialen standen, während Milo nicht freiwillig mit der Information herausrückte. Als der Suchtrupp bereit war, fuhren er und ich hinten in einem Streifenwagen mit und hörten dem nervösen Geplauder der beiden Deputies zu.
Die Wunden - die Art, wie die Kugeln Ulrich auf diese Entfernung durchschlagen hatten, die Größe der Austrittswunden - ließen auf Hochgeschwindigkeitsgeschosse, wahr scheinlich aus einem Militärgewehr mit einem guten Zielfernrohr, schließen. Und auf jemanden, der wusste, was er tat.
Sie debattierten, wie schwer es sein würde, den Heckenschützen zu sehen, wenn er beschlossen hätte, sich unter den Kiefern zu verbarrikadieren.
Ich wusste, dass er das nicht getan hatte. Er hatte seinen Job erledigt, und damit bestand kein Grund, noch länger an Ort und Stelle zu bleiben.
Es war nicht besonders schwierig, zu den Kiefern zu gelan gen. Dieselbe Straße, auf der wir an dem Grundstück mit dem kaputten Briefkasten vorbeigejagt waren, führte eine weitere Meile in die Berge hinauf, bevor sie sich gabelte. Die Abzweigung nach rechts führte zurück in die entgegengesetzte Richtung, hinunter zur Küste, wo sie jedoch zuvor in einer Sackgasse vor einem Staatsforst endete, der nach einem längst verstorbenen kalifornischen Siedler benannt war. Ein Schild kündigte malerische Aussichten an, aber man hatte nie einen Pfad angelegt, sodass die Neugierigen ihren Weg auf eigene Gefahr fortsetzen mussten.
Die Männer des Suchtrupps schwärmten aus, die Waffen im Anschlag. Eine Stunde später versammelten sie sich wieder an der Straße. Von dem Heckenschützen war nichts zu sehen. Einer der Deputies, ein erfahrener Wanderer, der uns mitteilte, dass er den John Muir Trail zweimal absolviert hätte und sich ohne Kompass zurechtfinden könnte, glaubte zu wissen, wo der Heckenschütze seine Position bezogen hatte. Wahrscheinlich hätte er sogar die exakte Stelle gefunden, sagte er.
Wir folgten ihm zum entgegengesetzten Waldrand, wo die äußersten Bäume durch die stärkste Sonneneinstrahlung am höchsten und dicksten wuchsen. Die Stelle bot eine perfekte unverstellte Aussicht auf die hässliche Hütte und ihre unmittelbare Umgebung, ebenso wie auf das Meer. Während die Cops redeten, glitt mein Blick unwillkürlich in diese Richtung. Ich entdeckte einen Dampfer, der über den Horizont glitt, und etwas am Himmel, das wie Staubkörnchen aussah, vermutlich Möwen.
Hier oben Position zu beziehen wäre gar nicht so schlecht gewesen. Wie lange hatte der Heckenschütze gewartet?
Wie war er darauf gekommen? War er über dasselbe Detail gestolpert wie ich? In seiner Kopie der Akte - der Original-Akte. Im Mordfall Marissa Bonpaine.
Er hatte behauptet, er wollte nach Seattle fliegen. Vor wenigen Stunden noch hatte ich ihn bei seinem Wort genommen und vermutet, dass er die Einzelheiten des Mordes an Marissa Bonpaine noch einmal durchgehen wollte, sie mit den Daten von Michael Burkes Medizinstudium vergleichen und dem, was er über den Mord an Mate wusste. Entdeckung durch Wanderer.
War er zurück nach L. A. geflogen, um die Spur des »Wanderers« aufzunehmen, und ein winziges bisschen schneller hier gewesen als Milo und ich?
Oder war Seattle eine Lüge gewesen, und er war die ganze Zeit über hier gewesen? Hatte es herausbekommen, indem er genau dasselbe getan hatte wie ich: sich die Macht der Besessenheit zu Nutze machen, dann beobachten, sich anpirschen, warten … Er war ein geduldiger Mann, er hatte so viele Jahre durchgehalten, ein paar Tage mehr spielten keine Rolle.
Ein Hinterhalt mit einer schönen Aussicht.
Hatte er sein Gewehr liebevoll auf ein rechteckiges Stück Wachstuch gelegt, während er ein Sandwich aß und einen Schluck aus einer Thermoskanne nahm? Während er überprüfte, ob die Linsen des Zielfernrohrs sauber waren?
Sein eigenes kleines Picknick. Die Ironie …
Die Cops fuhren fort, sich gegenseitig zu überzeugen, dass sie nicht weiter suchen müssten und dass heute niemand mehr erschossen werden würde. Ich wandte mich vom Meer ab, sah hinunter zur Hütte, vor der jetzt Fahrzeuge des Coroners und mehrere Streifenwagen standen, und
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