Gnadentod
unsere Ankunft bekannt zu geben und ihm dadurch eine Chance zum Orchestrieren zu geben. Mal sehen, ob wir die Hütte finden und sie eine Weile beobachten können.«
Wir gingen dreihundert Meter, bis wir die Hütte mit ihren angegrauten Schindeln sehen konnten, die durch eine dichter werdende Kolonnade von Kiefern und Tupelobäumen und Platanen kaum erkennbar waren. Alte, gewundene Platanen genau wie diejenige, an der Alice Zoghbie und Roy Haiseiden gelehnt hatten. War Ulrich/Burke das aufgefallen? Wahrscheinlich, dachte ich. Das hätte ihm gefallen, die Symmetrie, die Ordnung. Die Ironie. Das Sahnehäubchen auf dem Mordkuchen.
Falls Milo ebenfalls daran dachte, sagte er es jedenfalls nicht. Er trottete stetig, aber langsam vorwärts, die Zähne zusammengebissen, die Umgebung absuchend. Er ließ einen Arm locker herunterhängen, während er den anderen an seinem Gürtel, nur Zentimeter von seinem Dienstrevolver entfernt hielt. Er wirkte eher angespannt als kampfbereit. Sein Gewehr hatte er in den Kofferraum des Zivilwagens gelegt.
Der Weg mündete schließlich in einen elliptischen Parkplatz, der zum Teil von großen, runden Steinen gesäumt war. Die Einfassung machte den Eindruck, als habe sich jemand mit primitiven Mitteln als Landschaftsgestalter versucht, der vor langer Zeit den Kampf mit den Elementen verloren hatte. Zwei Wagen standen dort: Ulrichs dunkelblauer BMW und Tanya Strattons kupferfarbener Saturn.
Ulrich hatte uns eine Geschichte von einem anderen dunklen BMW erzählt, der am Mulholland gestanden hatte.
Ein BMW wie unserer.
Ich hatte mich mit dem Gedanken herumgequält, ob es Richards Wagen gewesen war. Mit Richard oder Eric am Steuer. Aber der Wagen hatte nur in Ulrichs Lüge existiert.
Orchestrieren.
Die Hütte stand am hinteren Ende des Grundstücks, und wir näherten uns, wobei wir versuchten, uns hinter den Bäumen zu verbergen. Schließlich konnten wir die Eingangstür sehen. Sie stand offen, aber der Zutritt war von einem schmutzig aussehenden Fliegengitter versperrt.
Es war ein hässliches kleines Ding, kaum mehr als ein Schuppen, der gegen einen Berghang gepresst stand und von Gebüsch umgeben war. Das Dach aus Teerpappe besaß den braungrünen Farbton eines stehenden Gewässers, und die ehemals weißen Schindeln waren inzwischen so trübe wie gebrauchtes Waschwasser. Das Haus war beinahe verborgen von niedrigen Zweigen - ein Ast hing bis auf dreißig Zentimeter auf die Tür herab -, als wehrte es sich dagegen, vom Grün stranguliert zu werden.
Weiter oben, kaum sichtbar durch die Platanen, war ein Bergrücken, der von einer dichten schwarzen Kiefernhaube gekrönt war. Staatliches Land. Keine neugierigen Nachbarn.
Wir näherten uns der Hütte bis auf eine Entfernung von zwanzig Metern, bevor Milo stehen blieb, sich vom Pfad seitwärts in die Büsche schlug und mir durch ein rasches Zeichen zu verstehen gab, ihm zu folgen.
Eine Sekunde später öffnete sich die Fliegentür, Tanya Stratton kam heraus und ließ sie krachend zufallen.
Sie trug ein langärmeliges hellbraunes Hemd, Jeans, weiße Sportschuhe und hatte sich ein rotes Kopftuch umgebunden. Dieses Mal trug sie keine dunkle Brille, aber sie war zu weit von uns entfernt, als dass wir ihre Augen hätten sehen können.
Sie streckte sich, gähnte, ging zu ihrem Wagen und machte den Kofferraum auf.
Die Fliegentür öffnete sich erneut, und wir konnten den Teil eines Arms sehen. Ein gebräunter, männlicher Arm. Aber Ulrich kam nicht zum Vorschein, sondern hielt lediglich die Tür auf. Ein hübscher Golden Retriever kam herausgestürzt und rannte an Tanya Strattons Seite.
Duchess. Großartige Nase, hält sich für einen Drogenhund.
»Großartig«, flüsterte Milo. »Das wär’s dann mit der Observation.«
Er sprach so leise, dass ich ihm von den Lippen ablesen musste. Trotzdem spitzte die Hündin die Ohren, drehte sich zu uns herum und begann am Boden zu schnüffeln. Sie setzte sich in Bewegung, gewann an Geschwindigkeit. »Duchess! Leckerchen!«, sagte Tanya Stratton, und die Hündin erstarrte mitten im Schritt und schüttelte sich, bevor sie sich umdrehte und zu ihrem Frauchen lief.
Stratton hatte eine Tüte aus dem Kofferraum gezogen.
Jetzt öffnete sie sie, griff hinein und ließ etwas vor Duchess’ Nase baumeln. »Sitz. Schön brav.«
Die Hündin setzte sich und beäugte den Hundekuchen, den Tanya ihr vor die Nase hielt.
Tanya sagte: »Braves Mädchen«, gab ihr den Leckerbissen und kraulte ihr das Nackenfell.
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