Gnadentod
versuchte sie so zu sehen, wie Leimert Fusco sie gesehen hatte.
»Ja, das hier muss es sein, der Winkel ist perfekt«, sagte der Muir-Wanderer. »Seht nur, wie flach es hier wird, und da drüben ist der Stein, an den er seine Waffe lehnen konnte. Vielleicht hat er irgendwelche Spuren hinterlassen, holen wir die Techniker hier rauf.«
Die Techniker kamen. Milo erzählte mir später, sie hätten nichts gefunden, nicht einmal eine Reifenspur.
Das überraschte mich nicht. Ich wusste, dass Fusco nicht allzu weit von seinem Aussichtspunkt entfernt geparkt haben konnte - sonst hätte er seine Flucht nicht so schnell bewerkstelligen können. Er war zu der Abzweigung nach links gefahren und in die Berge verschwunden, durch die sich zahlreiche Seitenstraßen schlängelten, von denen die meisten in irgendwelchen Canyons endeten und ein paar ins Valley führten, zum Freeway, in die vorgebliche Zivilisation.
Er hatte gewusst, welche Straße er nehmen musste, weil er auch ein vorausschauender Mensch war.
Das größte Risiko hatte darin bestanden, seinen Wagen am Rand der Straße stehen zu lassen. Aber wenn jemand ihn gesehen und sich aus irgendeinem Grund das Nummernschild gemerkt hätte, wäre das auch nicht weiter schlimm gewesen. Die Spur hätte am Ende zu einem Leihwagen geführt, den jemand unter einem falschen Namen gemietet hatte.
Also hatte er natürlich in der Nähe geparkt.
Auf keinen Fall hätte er mit seiner ganzen Ausrüstung - dem Militärgewehr, dem Zielfernrohr mit vielfacher Vergrößerung - lange Strecken zurücklegen können.
Nicht mit diesem Hinken.
»Leichter Schuss«, sagte ein anderer Deputy. »Als hätte er Wachteln abgeknallt. Ich frage mich, was dieser Typ gemacht hat, dass jemand derart sauer auf ihn war.«
»Wer sagt denn, dass er irgendwas gemacht hat?«, fragte ein anderer Cop. »Heute muss man gar nichts mehr machen, um einen Irren in Fahrt zu bringen.«
Milo lachte.
Die Männer in Hellbraun starrten ihn an. Er sagte: »War ein langer Tag, Jungs.«
»Er ist noch nicht zu Ende«, sagte der Muir-Mann. »Wir müssen den Typen noch finden.« Milo lachte wieder.
36
November ist der schönste Monat in L. A. Die Temperaturen werden erträglicher, die Luft nimmt den sauberen, geschrubbten Geschmack einer Welt ohne Kohlenwasserstoffe an, und das Licht ist so frisch und golden wie ein karamellisierter Apfel. Im November kann man vergessen, dass die Chumash-Indianer das Becken, in dem L. A. liegt, das Tal des Rauchs genannt haben.
Ende November, anderthalb Monate nach dem Mord an Eldon Mate, fuhr ich nach Lancaster. Es war bereits mehrere Wochen her, dass Milo die Katalogisierung des Inhalts der vier Pappkartons beendet hatte, die in einem separaten Lagerraum entdeckt worden waren, den Paul Ulrich unter dem Namen Dr. L. Pasteur in Panorama City gemietet hatte.
Ein Schlüssel in Ulrichs Nachttisch führte zu dem Lagerraum. Im Haus selbst fand sich nichts sonderlich Interessantes. Tanya Stratton war innerhalb weniger Tage nach den Schüssen in Malibu ausgezogen.
Die Kartons waren wunderbar geordnet.
Der erste enthielt säuberlich gefaltete Zeitungsausschnitte, in chronologischer Reihenfolge abgeheftet und mit Namensschildchen der Opfer versehen. Die Einzelheiten von Roger Sharveneaus Selbstmord waren sorgfältig festgehalten, ebenso der Tod eines Mädchens mit Namen Victoria Leigh Fusco.
Nummer Zwei enthielt sorgfältig gebügelte Kleidungsstücke - vorwiegend Damenunterwäsche, außerdem ein paar Kleider, Blusen und Halstücher.
In der dritten Schachtel fand Milo mehr als hundert Schmuckstücke in Plastiktüten, größtenteils wertloses Zeug und Modeschmuck. Ein Teil des Flitterkrams konnte Toten zugeordnet werden, manche Stücke jedoch nicht.
Der vierte und größte Karton enthielt eine Styroporkühlbox. Darin waren in Wachspapier eingewickelte Pakete geschichtet und mit Trockeneis konserviert. Der Verwalter des Lagerhauses erinnerte sich daran, dass Dr. Pasteur ungefähr einmal pro Woche vorbeikam. Ein netter Mann mit einem großen, altmodischen Schnurrbart von der Sorte, die man in Stummfilmen sieht. Pasteur hatte nur geredet, um Konversation zu machen und über Sport, Wandern und Jagen gesprochen. Seit seinem letzten Besuch war schon eine ganze Weile vergangen, und der Großteil des Trockeneises war inzwischen geschmolzen. Der größte Karton hatte angefangen zu stinken. Milo hatte es dem Gerichtsmediziner überlassen, die Pakete zu öffnen.
In einer Ecke des Lagerraums lagen
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