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Gnadentod

Gnadentod

Titel: Gnadentod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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Duchess blieb neben Tanya stehen und wartete, bis diese sie zurück in die Hütte brachte.
    »Braver Hund«, murmelte Milo. Er warf einen Blick auf seine Timex. »Getrennte Autos. Was schließt du daraus?«
    »Vielleicht hat Tanya geplant, vor ihm abzureisen. Berufliche Verpflichtungen, wie ihre Schwester gesagt hat.«
    Er dachte darüber nach und nickte. »Sie lässt ihn allein, damit er sein Ding durchziehen kann. Was heißen könnte, er bleibt hier in der Nähe, oder er macht noch einen Ausflug. Möglicherweise hat er irgendwelche Sachen hier verstaut. Vergraben vielleicht. Das bedeutet, ich kann es mir nicht leisten, gegen irgendwelche Ermittlungsregeln zu verstoßen. Ich muss alles mit dem Büro des Sheriffs von Malibu absprechen, damit es koscher bleibt … Vielleicht ist es am besten, wir verdrücken uns und suchen eine Stelle, von der aus wir die Straße beobachten können. Dann können wir sehen, ob Tanya abreist und was er dann macht - falls sie nicht in unmittelbarer Lebensgefahr schwebt.«
    »Sein Verhaltensmuster mit seinen Freundinnen sieht so aus, dass er abwartet, bis sie wieder einen Rückfall haben. Dann kümmert er sich hingebungsvoll um sie bis zum bitteren Ende. Andererseits könnte er den Prozess auch beschleunigt haben.«
    »Gift?«
    »Er weiß, wie er es anstellen muss.«
    »Was willst du damit sagen, wir sollen die Warterei einfach vergessen und gleich reinmarschieren?«
    »Lass mich nachdenken.«
    Doch dazu sollte ich nicht mehr kommen.
    Die Tür öffnete sich erneut, und diesmal kam Paul Ulrich heraus. Durchtrainiert und gut in Form in einem weißen Polohemd, Khakihose, braunen Mokassins ohne Socken. Muskulöse Arme, gesunde Gesichtsfarbe. Er hielt einen Becher mit irgendeiner Flüssigkeit in der Hand.
    Er trank, stellte den Becher auf den Boden und machte ein paar Schritte nach vorn.
    Wir sahen sein Gesicht.
    Zwei wache, funkelnde Augen und rosige Haut hinter einem ausladenden Schnurrbart, einem Zwillingspropeller aus Haaren, der so riesig, so außergewöhnlich war, dass trotz meines Versuchs, an ihnen vorbeizusehen, irgendetwas zu erfassen, sein Gesicht mit einem der Fotos in Leimert Fuscos Akte in Verbindung zu bringen, mein Gehirn trotzdem nur die Information Schnurrbart verarbeitete.
    Er nahm seinen Kaffee wieder in die Hand und stolzierte herum, spannte einen Bizeps an und inspizierte den hervorgetretenen Muskel.
    Er trank noch einen Schluck und streckte sich genüsslich.
    Voller Zufriedenheit. Was für ein toller Morgen.
    Milos Hand lag auf seiner Waffe, die Finger zeichneten sich weiß vor dem Griff aus Walnussholz ab und krochen auf den Abzug zu. Plötzlich, als hätte er bemerkt, was er da tat, zog er sie weg, wischte sich die Hand an seinem Jackett ab, rieb sich das Gesicht und starrte Ulrich an.
    Plötzlich ließ sich Ulrich zu Boden fallen, als würde auf ihn geschossen. Wir sahen zu, wie er in kürzester Zeit fünfzig Liegestütze abriss. Perfekt in Form. Als er wieder auf die Füße sprang, streckte er sich erneut, ohne auch nur das geringste Anzeichen von Erschöpfung zu zeigen.
    Er fuhr mit einer Hand über sein gelichtetes Haar, ließ den Kopf kreisen, beugte die Arme und ließ noch einmal den Kopf kreisen. Selbst Mörder bekommen einen steifen Nacken … all diese Stunden hinter dem Steuer …
    Er strich seinen Schnurrbart glatt und griff mit einer Hand hinter sich, um an seinem Hosenboden zu ziehen.
    Selbst Mörder kneift mitunter die Hose im Schritt.
    Diese Beobachtung - die Banalität - kam einer Enttäuschung gleich. Er erschien plötzlich menschlich. Sie sollten es nicht sein, trotzdem sind sie es immer.
    Ulrich trank seinen Kaffee aus, stellte den Becher wieder auf den Boden und ging zu seinem Wagen. Er öffnete den Kofferraum, in dem ein kleiner Lederkoffer lag, dessen glatte Oberfläche den durch die Bäume einfallenden, gefilterten Sonnenschein reflektierte.
    Ein Arztköfferchen. Ulrich streichelte es.
    Ich flüsterte: »Na bitte.«
    »Wofür zum Teufel braucht er das denn gerade jetzt?«, fragte Milo.
    Die Gittertür ging wieder auf. Als Tanya herauskam, ließ Ulrich den Koffer rasch hinter seinem Rücken verschwinden und schob sich näher an seinen Wagen heran. Sie machte nur ein paar Schritte, ohne zu ihm hinüberzusehen. Während sie die Baumwipfel betrachtete, ließ Ulrich den Koffer in den Kofferraum gleiten, schlug die Klappe zu und schlenderte hinüber zu Tanya.
    Sie nahm keine Notiz von ihm, sondern wandte sich ab, um wieder die Hütte zu betreten, als

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