Gnadentod
er sie erreichte. Er legte eine Hand um ihre Taille und küsste sie in den Nacken.
Sie war starr, unempfänglich.
Ulrich blieb hinter ihr stehen, ohne seinen Griff um ihre Taille zu lockern. Er küsste sie wieder, doch sie wich seinen Lippen durch eine Drehung aus. Er streichelte ihre Wange, doch in seinem Gesicht, das sie nicht sehen konnte, war keinerlei Gefühl erkennbar.
Es war reglos, die Augen hart und konzentriert. Sein Gesicht war leicht gerötet.
Tanya sagte etwas, riss sich von ihm los und verschwand wieder in der Hütte.
Ulrich strich sich über den Schnurrbart und spuckte auf die Erde.
Er ging zum Wagen zurück, hastig, das Gesicht immer noch ausdruckslos. Stark gerötet. Er machte den Kofferraum auf und griff nach dem schwarzen Köfferchen.
Milo sagte: »Das ist nicht gut.«
Seine Hand fuhr zurück zu seiner Waffe, dann trat er zwischen den Bäumen hervor. Er hatte kaum einen Schritt gemacht, als der Schuss fiel, hart und scharf, als würde jemand in die Hände klatschen.
Der Schuss war von einem Punkt hinter Ulrich gekommen. Von oben. Aus dem Kiefernbewuchs auf dem Bergrücken.
Milo lief zurück in sein Versteck, die Waffe in der Hand, doch da war niemand, auf den er schießen konnte.
Ulrich stürzte nicht zu Boden, zumindest nicht sofort. Er blieb stehen, während sich auf seiner Brust ein roter Fleck bildete, der sich rasch ausbreitete und aufblühte wie eine Rose im Zeitraffertempo. Austrittswunde. Von hinten getroffen. Er hielt noch immer das schwarze Köfferchen in der Hand. Der Schnurrbart machte es unmöglich, seinen Gesichtsausdruck erkennen zu können.
Ein weiteres Händeklatschen ertönte, dann noch eins, und zwei weitere Rosen schmückten Ulrichs weißes Hemd, das sich inzwischen so verfärbt hatte, dass man sich kaum vorstellen konnte, dass es jemals weiß gewesen war …
Milos Revolverhand war starr, bewegungslos, sein Blick glitt von Ulrich zu dem Bergrücken.
Noch ein Applaus.
Als der vierte Schuss Ulrichs Schädeldeckel abrasierte, ließ er das schwarze Köfferchen schließlich zu Boden fallen und fiel darüber.
Das Ganze hatte weniger als zehn Sekunden gedauert.
Schreie drangen aus dem Innern der Hütte, aber keine Spur von Tanya.
Duchess bellte. Milo hielt seine Waffe noch immer in der Hand, auf das Schweigen gerichtet, die Distanz, die Bäume, diesen riesigen Schnurrbart aus Bäumen.
35
Die Sheriffs brauchten eine Weile von ihrem Revier in Malibu bis zu der Hütte, und noch länger, um einen Trupp zusammenzustellen, der auf den Bergrücken klettern sollte. Eine kleine Armee nervöser Männer in hellbraunen Uniformen, denen die Finger juckten. Jeder Deputy war davon überzeugt, dass der Heckenschütze noch in der Nähe war und nicht zögern würde zu schießen.
Während wir darauf warteten, dass der Trupp zusammengestellt wurde, wich Milo dem Gerichtsmediziner nicht von der Seite und bemühte sich, den Sheriffs das Gefühl zu vermitteln, sie hätten das Sagen, obwohl es ihm gelang, alles zu kontrollieren. Er bat mich, Tanya Stratton zu trösten, doch am Ende kam es nicht so weit. Sie ließ mich nicht an sich heran und weigerte sich zu reden. Sie tröstete sich selbst, indem sie mit ihrer Schwester ein gemurmeltes Telefongespräch führte und ihren Hund streichelte. Ich beobachtete sie aus einem gewissen Abstand. Die Deputies hatten sie vom Tatort weggebracht, und sie saß mit hochgezogenen Knien unter einem Eukalyptusbaum. Sie hatte die Sonnenbrille wieder aufgesetzt, sodass ich ihre Augen nicht sehen konnte. Der Rest ihres Gesichts verriet, dass sie schockiert und wütend war und sich fragte, wie viele Fehler sie im Verlauf ihres übrigen Lebens noch machen würde.
Während wir auf die Sheriffs warteten, hatte Milo die Hütte inspiziert. Er hatte keine offensichtlichen Trophäen gefunden, es war überhaupt nicht viel im Innern der Hütte gewesen. Eine später am Tag durchgeführte sorgfältige Durchsuchung brachte kein weiteres Beweismaterial an den Tag; es blieb bei dem Arztköfferchen aus altem, poliertem Leder mit goldenen Initialen über dem Verschluss: EHM.
Tanya Stratton behauptete, es nie gesehen zu haben. Ich glaubte ihr. Ulrich hatte es vor ihr versteckt und erst hervorgeholt, als der Zeitpunkt gekommen war, es zu benutzen. Noch eine Weile länger, und sie hätte vielleicht keine Gelegenheit mehr gehabt, auch nur einen einzigen weiteren Fehler in ihrem Leben zu begehen.
In dem Köfferchen lagen Skalpelle, Scheren und andere glänzende Gegenstände;
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