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Gnadentod

Gnadentod

Titel: Gnadentod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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lernen?«
    »Klar«, sagte er. »Siehst du, so grausam kann das Leben sein. Gestern noch Bergsteigen in Nepal, heute schon die Poli-zei im Haus … Sie ist wahrscheinlich topfit, Körperbewusstsein über alles.«
    »Kommt drauf an, von wessen Körper du redest.«

7
    Wir verabredeten uns für zwei Stunden später im Revier, und ich legte auf. Ich hatte vorgehabt, die Sprache auf die Familie Doss zu bringen, hatte es dann aber doch nicht getan. Meine Entschuldigung lautete, dass sich einige Themen nicht so einfach am Telefon besprechen ließen.
    Ich wollte mehr über den Arzt Eldon Mate erfahren, also fuhr ich hinüber zur Bio-Med Bibliothek an der Uni und setzte mich an ein Terminal. Der Index der Periodika verwies noch auf ein paar weitere Zeitschriftenartikel, aber nichts Neues. Ich überflog einige wissenschaftliche Datenbanken nach technischen Artikeln, die Mate veröffentlicht haben könnte, ohne irgendetwas zu erwarten in Anbetracht seines glanzlosen beruflichen Werdegangs, stieß aber auf zwei Hinweise: eine Erwähnung in den Chemical Abstracts führte mich zu einem dreißig Jahre alten Leserbrief, den Mate zu einem Artikel über Polymerisation geschrieben hatte - irgendetwas über die Kombination kleiner Moleküle, um große Moleküle zu erzeugen, und das Potenzial für qualitativ besseres Benzin. Mate hatte missmutig widersprochen. Der Autor des Artikels, ein Professor am MIT, hatte Mates Bemerkungen als irrelevant abgetan. Damals war Mates Berufsbezeichnung chemischer Forschungsassistent, ITEG Petroleum, gewesen.
    Die zweite Erwähnung tauchte in MEDLINE auf, sechzehn Jahre alt, ebenfalls ein Brief, diesmal in einer schwedischen Zeitschrift für Pathologie. Mate hatte mittlerweile seinen Dr. med. und gab an, dem Oakland Hill Hospital in Oakland, Kalifornien, anzugehören. Keine Berufsbezeichnung und kein Wort darüber, dass er nur ein kleiner Assistenzarzt war.
    In diesem zweiten Brief widersprach er niemandem. Unter der Überschrift »Exakte Messung des Todeszeitpunkts: Ein Segen für die Gesellschaft« begann er mit einem Zitat von Sir Thomas Browne:
    »Wir alle kämpfen gegen unsere eigene Heilung, denn der Tod ist die Heilung aller Krankheiten.«
    Mate fuhr fort, indem er die Stigmatisierung beklagte, die mit zellularem Stillstand einhergeht, und die daraus folgende moralische Feigheit, die Ärzte an den Tag legen, wenn sie mit parathanatologischen Phänomenen zu tun haben. Als die endgültigen Betreuer des Körpers und jener als »Seele« bekannten Fiktion müssen wir alles in unserer Macht Stehende tun, um den Prozess der Beendigung des Lebens zu entmystifizieren, indem wir die uns zur Verfügung stehenden wissenschaftlichen Hilfsmittel dazu benutzen, um die sinnlose Verlängerung des »Lebens« zu vermeiden, die das Ergebnis theologisch begründeter Mythen ist.
    Unter diesem Aspekt wird die Quantifizierung des präzisen Todeszeitpunkts nützlich sein, um diejenigen, die mit Mythen hausieren gehen, ihrer Fiktionen zu berauben und Kosten zu sparen, die aus der sinnlosen Anwendung so genannter heroischer Maßnahmen resultieren, die nichts weiter hervorbringen als atmende Leichen. Davon ausgehend, versuchte ich zu bestimmen, an welchen äußeren physischen Anzeichen der exakte Zeitpunkt des Abschaltens der lebenswichtigen Organe zu erkennen ist. Die Synapsen des zentralen Nervensystems funktionieren oft noch eine ganze Weile, nachdem das Herz aufgehört hat zu schlagen. Selbst ein Biologiestudent im ersten Semester kann den Herzschlag eines aufgespießten Froschs eine beträchtliche Zeit »post mortem« durch den Einsatz stimulierender Medikamente provozieren. Darüber hinaus ist der Gehirntod kein diskretes Ereignis, und dieser Umstand sorgt für Verwirrung und Ungewissheit.
    Aus diesem Grund habe ich nach anderen Veränderungen Ausschau gehalten, insbesondere muskulärer oder okularer Natur, die mit unserem Verständnis thanatologischer Progredienz einhergehen. Ich habe an den Betten zahlreicher prämortaler Patienten gesessen, in ihre Augen gesehen und die minimalen Bewegungen ihrer Gesichtsmuskeln studiert. Obwohl diese Forschungsarbeit sich noch im Anfangsstadium befindet, bin ich durch eine - wie es aussieht - zweifache Manifestation kardiovaskulären und neurologischen Stillstands ermutigt worden, der sich durch eine Kombination zuckender Augenbewegungen mit einem messbaren Erschlaffen der Lippen ankündigt.
    Bei einigen Patienten habe ich außerdem ein hörbares Geräusch vernommen, das sich

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