Gnadentod
diese: Vor vier Jahren hatte eine Gruppe, die unter dem Namen Weltliche Humanistische Infanterie firmierte, Mate in San Francisco ihren höchsten Preis verliehen, den Ketzer. Vor der Zeremonie war eine Injektionsspritze, die Mate zuvor bei einer »Reiseveranstaltung« benutzt hatte, für 200 Dollar versteigert und unmittelbar danach von einem verdeckt arbeitenden Polizeibeamten beschlagnahmt worden, der sich auf eine Verletzung staatlicher Gesundheitsvorschriften berief. Es war zu Aufruhr und Protest gekommen, als der Cop die Nadel in eine Plastiktüte steckte und hinausging. In seiner Rede zur Entgegennahme des Preises stellte Mate seinen Anorak als Trostpreis zur Verfügung und bezeichnete den Polizisten als »durchgedrehte Stechmücke mit den moralischen Prinzipien eines Rotavirus«.
Der Name desjenigen, der den Zuschlag bekommen hatte, stach mir ins Auge.
Alice Zoghbie, Schatzmeisterin der Weltlichen Humanistischen Infanterie, mittlerweile Präsidentin des Sokrates-Club. Dieselbe Frau, die den Todeslieferwagen gemietet hatte und am gleichen Tag nach Amsterdam geflogen war.
Ich gab einen Suchbefehl für den Club ein, fand die Homepage mit dem von einem Kranz - Schierling, nahm ich an - gekrönten Haupt des griechischen Philosophen als Logo. Die Zentrale war am Glenmont Circle in Glendale, Kalifornien, wie Milo gesagt hatte.
In seiner Clubphilosophie betonte der Socrates Club »das persönliche Eigentumsrecht am Leben, unbehindert von den altmodischen und barbarischen Konventionen, die die organisierte Religion der Gesellschaft aufoktroyiert hat«. Gezeichnet, Alice Zoghbie, MPA. Ein Beitrag von hundert Dollar berechtigte die Glücklichen zum Empfang von Veranstaltungshinweisen und sämtlichen anderen Vergünstigungen der Mitgliedschaft. AMEX, VISA, MC und DISC wurden akzeptiert.
Zoghbies Abschluss als Verwaltungsfachwirtin verriet mir nicht viel über ihren beruflichen Werdegang, doch ein Suchbefehl mit ihrem Namen lieferte mir einen langen Artikel aus den San Jose Mercury News, der die Lücken füllte.
Unter der Überschrift »Bemerkungen der Leiterin einer Sterbehilfe-Gruppe lösen Kontroverse aus« beschrieb der Artikel Zoghbie als:
um die fünfzig, spindeldürr und hochgewachsen. Die frühere Personalchefin eines Krankenhauses ist inzwischen völlig ausgelastet mit der Leitung des Socrates Club, einer Gesellschaft, die sich der Legalisierung der Sterbehilfe verschrieben hat. Bis vor kurzem sind die Mitglieder in der Öffentlichkeit sehr zurückhaltend aufgetreten und haben sich auf die Einreichung von Amicuscuriae-Briefen in Sterbehilfeprozessen beschränkt. Jüngste Bemerkungen jedoch, die Zoghbie beim Brunch vergangenen Sonntag im Western Sun Inn hier in San Jose gemacht hat, haben den Club ins Rampenlicht gerückt und Fragen nach seinen wahren Absichten aufgeworfen. Während dieses Treffens, an dem rund fünfzig Leute teilnahmen, hielt Zoghbie eine Rede, in der sie die »humane Abfertigung von Patienten forderte, die an Alzheimer und anderen Formen >mentaler Beeinträchtigung< leiden«, sowie von behinderten Kindern und anderen, die vor dem Gesetz nicht in der Lage sind, »die Entscheidung zu treffen, zu denen sie mit Sicherheit gelangen würden, wenn sie bei klarem Verstand wären«.
»Ich habe zwanzig Jahre in einem Krankenhaus gearbeitet«, sagte die braun gebrannte, weißhaarige Frau, »und ich habe mit eigenen Augen den Missbrauch gesehen, der als Behandlung verkleidet daherkommt. Wahres Mitgefühl schafft keine Krüppel, die nur noch dahinvegetieren. Wahres Mitgefühl heißt, dass Wissenschaftler ihre Köpfe zusammenstecken, um eine Messlatte zu erarbeiten, mit der man Leiden quantifizieren kann. Denjenigen, die einen bestimmten kritischen Wert überschreiten, könnte dann rechtzeitig geholfen werden, selbst wenn ihnen die Fähigkeit fehlt, sich selbst zu befreien.« Die Reaktion auf Zoghbies Vorschlag seitens führender Kirchenvertreter war prompt und negativ. Der katholische Bischof Armand Rodriguez bezeichnete den Plan als »Aufruf zum Genozid«, und Dr. Archie Van Sandt von der Baptistenkirche Mount Zion beschuldigte Zoghbie, »ein Instrument des krebsartig wuchernden Säkularismus« zu sein. Rabbi Eugene Brandner vom Tempel Emanu-El sagte, Zoghbies Ideen seien »definitiv nicht innerhalb des Spektrums angesiedelt, das jüdisches Gedankengut umfasst«.
Eine Stellungnahme, die der Socrates Club zwei Tage später herausgab, versuchte Zoghbies Bemerkungen zu relativieren und nannte diese
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