Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gnosis

Gnosis

Titel: Gnosis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adam Fawer
Vom Netzwerk:
schlimmsten. Dann lag Jill im Bett und wünschte, sie könnte Schwester Christinas weiche, duftende Haut berühren. Schlief Jill dann endlich ein, tauchte Schwester Christina in ihren Träumen wieder auf.
    Eines Nachts erwachte Jill schweißgebadet, mit den Händen unter ihrem Nachthemd. Was dann geschah, löste eine ganze Folge von Ereignissen aus und warf einen Schatten auf ihre Seele, der ihr bis zum Tod erhalten bleiben sollte.
     
    Jill schlug ihre Bettdecke zurück und achtete darauf, dass sie sich nicht am Oberbett stieß. Die alten Dielen knarrten unter ihrer zarten Gestalt, als sie auf Zehenspitzen den Flur entlangschlich. Im Badezimmer spritzte sie sich kaltes Wasser ins Gesicht.
    Jill holte tief Luft und versuchte, ihre Gedanken zu läutern. Alles war still, und sie sah nur trüben, blauen Nebel. Jill atmete aus und genoss den seltenen Augenblick des Friedens. Unablässig mit zwölf anderen Mädchen beisammen zu sein (Mahlzeiten, Gebete, Schule, Schlaf) brachte mit sich, dass ein ständiger Geräuschpegel ihre Gedanken untermalte. Nur in diesen seltenen Augenblicken der Ruhe fühlte sich Jill wie ein eigenständiger Mensch.
    Plötzlich sah sie unverkennbar leuchtendes grünliches Schwarz vor sich. Instinktiv trat Jill auf den Flur hinaus und stieß um ein Haar mit Schwester Christina zusammen.
    «Ach, du bist es …», sagte die Nonne. «Was um alles in der Welt machst du hier?»
    «Ich … ich musste zur Toilette.»
    «Ein guter Grund», sagte Schwester Christina lächelnd. «Ich wollte eben in die Küche, um mir einen kleinen Mitternachtsimbiss zu gönnen.»
    «Darf ich mitkommen?», fragte Jill sofort.
    «Es ist spät, Liebes. Du solltest wirklich wieder ins Bett gehen.»
    «Bitte …», sagte Jill. «Ich sage es auch nicht weiter.»
    Schwester Christina zögerte, während Jill zu ihr aufblickte, brennend vor Sehnsucht. Schließlich flüsterte die Nonne: «Na, dann komm!»
    Sie schlichen die Treppe hinunter in den langen, schmalen Raum, in dem die Küche war. Schwester Christina machte Licht, und die blankpolierten Arbeitsflächen leuchteten. Sie warf Jill ein verschwörerisches Lächeln zu, dann tappte sie über das Linoleum zu dem massiven Kühlschrank hinüber.
    Sie zog die Tür auf, und eisige Luft stieg in den Raum, Jill spürte sie kalt und erfrischend auf ihrem Gesicht. Schwester Christina suchte ein paar Sekunden lang und holte dann eine große Packung mit Schokoladeneis hervor.
    «Es ist meine einzige wirkliche Schwäche – eine Sünde, ich weiß», sagte Schwester Christina. «Sag es nicht Pater Sullivan!»
    «Niemals», sagte Jill und konnte gar nicht aufhören zu lächeln.
    Schwester Christina nahm zwei Löffel aus einer Schublade und bedeutete Jill, sie solle ihr durch eine Tür im hinteren Teil der Küche folgen. Nach vierzehn Jahren in diesem Waisenhaus hatte Jill eigentlich gedacht, sie kannte jeden Quadratzentimeter der Kirche, doch dieses Zimmer hatte sie noch nie gesehen.
    Am Boden lag ein alter, gelber Teppich. In der Ecke stand ein kleiner Spieltisch neben zwei blassgrünen Sofas. Schwester Christina ließ sich auf eines der Sofas fallen, und Jill setzte sich neben sie. Sie war so aufgeregt, dass sie nicht wagte, etwas zu sagen. Sie wollte den Augenblick nicht zerstören.
    «Hau rein!», sagte Schwester Christina und reichte Jill einen Löffel. «Je mehr du isst, desto weniger esse ich, was das Beste wäre. Auch als Nonne möchte ich eine gute Figur haben.»
    «Danke.» Jill grub ihren Löffel in die Eiscreme. Und bevor sie es sich anders überlegen konnte, sagte sie: «Das haben Sie übrigens.»
    «Was habe ich?»
    «Eine gute Figur, meine ich», sagte Jill und kam sich plötzlich dämlich vor.
    «Oh. Danke.»
    Die beiden aßen schweigend, fast eine Minute lang. Jill versuchte, das Eis zu genießen, aber sie war viel zu aufgeregt. Noch nie hatte sie außerhalb des Unterrichts mit Schwester Christina gesprochen. Hier mit ihr zu sitzen, ohne die anderen Mädchen, war wie ein Traum.
    «Schwester? Bevor Sie Nonne wurden, waren Sie da jemals … ich meine … waren Sie …»
    Schwester Christina ließ den Löffel sinken. «War ich was?»
    «Waren Sie jemals … verliebt?»
    Schwester Christinas Wangen wurden rot. «Wenn ich die Wahrheit sagen soll, gab es da auf der Highschool einen Jungen, der mein Herz manchmal zum Hüpfen brachte.»
    «Waren Sie mit ihm …? Na, Sie wissen schon.»
    «Oh, nein», sagte Schwester Christina und schüttelte den Kopf. «Er wusste kaum, dass es mich gab.

Weitere Kostenlose Bücher