Gnosis
Dietrich sie aufhielt. «Eigentlich habe ich doch noch einen Wunsch. Wahrscheinlich ist es verrückt, aber …»
«Was denn?»
«Angeblich wurden Nikola Teslas Aufzeichnungen nach seinem Tod konfisziert», sagte Dietrich. «Die würde ich gern mal einsehen.»
«Solche Akten sind schwer zu beschaffen», sagte Zinser wie zu sich selbst. Dann fasste sie sich und sah Dietrich in die Augen. «Ich werde den Vorstand einberufen, damit Sie Ihren Wunsch vorbringen können. Elf Uhr heute Abend in meinem Büro. Und seien Sie überzeugend!»
Zinser ließ Dietrich bis 23:07 Uhr draußen vor ihrem Büro warten. Er wollte schon sein Ohr an die Tür halten, als diese abrupt aufgerissen wurde.
«Doktor …», sagte Zinser. «Sie haben fünf Minuten.»
Sie wandte sich um, und Dietrich folgte ihr in das große Büro. An der Wand sah er fünf Fernsehmonitore. Zwei waren schwarz, die anderen zeigten jeweils eine dunkle Silhouette. Die Beleuchtung machte es Dietrich unmöglich, Gesichter zu erkennen.
«Dr. Dietrich», sagte die Gestalt auf dem Monitor in der Mitte mit breitem Südstaatenakzent. «Miss Zinser hat uns über Ihren Wunsch in Kenntnis gesetzt. Bitte erklären Sie, weshalb das nötig ist.»
Dietrich brauchte ein paar Sekunden, bis er seine Stimme wiedergefunden hatte. Sie klang zittrig und heiser. «Niemand hat den Elektromagnetismus besser begriffen als Tesla. Ich glaube, dass seine Aufzeichnungen mir helfen werden, festzustellen, was ich übersehen habe.»
«Warum glauben Sie, dass Elektromagnetismus der Schlüssel ist?», fragte eine andere Gestalt mit strenger Stimme.
«Denken Sie an die Libet-Experimente und ihre Bedeutung für den freien Willen.»
«Ich glaube nicht, dass der Vorstand mit Dr. Libets Arbeiten vertraut ist», sagte Zinser, die hinter Dietrich stand.
«Ja, natürlich», sagte Dietrich nervös. Er war so an den Umgang mit anderen Akademikern gewöhnt, dass er ganz vergaß, wie wenig Einblick die meisten Leute in die Welt der Wissenschaft hatten. «Mitte der siebziger Jahre untersuchte ein Physiologe namens Benjamin Libet den Zusammenhang zwischen Bioelektromagnetismus und dem menschlichen Bewusstsein.
In seinen Experimenten verwendete er ein Elektroenzephalogramm, um die neuronale Aktivität in der Großhirnrinde zu messen, die mit gesteigerter Wahrnehmung assoziiert wird. Er setzte die Testpersonen vor ein spezielles Oszilloskop, versehen mit einem rotierenden Lichtpunkt. Das Gerät war bis auf die Millisekunde präzise. Dann gab er den jeweiligen Testpersonen Anweisung, innerhalb eines festgesetzten Zeitrahmens einen Knopf zu drücken.
Man bat die Testperson, sich die Position des Lichtpunktes zu merken, sobald ihr die Absicht zu handeln zum ersten Mal bewusst wird. Indem er den Zeitpunkt der Entscheidung seiner Testperson mit ihrem Knopfdruck verglich, berechnete Libet, dass der Zeitraum zwischen der Absicht und der daraus resultierenden Handlung 200 Millisekunden betrug.»
«Was ist mit dem Fehlerspielraum?», fragte der Südstaatler.
«Er betrug plus/minus 50 Millisekunden.»
Die Gestalt nickte. «Weiter.»
Dietrich räusperte sich und fuhr fort.
«Dann analysierte Libet die EEG-Aufzeichnungen und stellte fest, dass die Hirnaktivität im motorischen Kortex 500 Millisekunden vor dem Knopfdruck begonnen hatte.»
Begeistert hielt Dietrich inne. Dem Schweigen nach zu urteilen, hatte sein Publikum allerdings die Bedeutung dieses Experimentes nicht verstanden.
«Begreifen Sie denn nicht? Die Hirnaktivität, die das Handeln initiiert hat, begann bereits 300 Millisekunden bevor sich die Testperson überhaupt darüber im Klaren war, dass sie handeln wollte – weit außerhalb des 50-Millisekunden-Fehlerspielraums. Weitere Tests ergaben, dass bewussten Entscheidungen immer eine unbewusste Steigerung elektrischer Aufladung oder des Bereitschaftspotenzials vorausgeht.
Das BP existiert, bevor wir uns unserer Wünsche bewusst sind. Im Grunde steht die Entscheidung fest, bevor wir sie treffen, was sämtliche Vorstellungen vom freien Willen in Frage stellt.»
«Also glaubte Libet nicht an den freien Willen?», fragte die Gestalt mit der rauen Stimme.
«So ungefähr. Seiner Hypothese nach existiert der freie Wille nur in Form einer Art Vetomacht, über welche sich das Bewusstsein aussuchen kann, ob es zulässt oder verhindert, dass das BP in Bewegung umgewandelt wird.»
«Er ging also davon aus, dass unser Bewusstsein das Handeln nicht initiiert, es aber unterdrücken kann», erklärte die
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