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Gods and Warriors - Die Insel der Heiligen Toten: Band 1 (German Edition)

Gods and Warriors - Die Insel der Heiligen Toten: Band 1 (German Edition)

Titel: Gods and Warriors - Die Insel der Heiligen Toten: Band 1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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während die Menschen ihm mit gebleckten Zähnen zuwinkten.
    Dann verschwand er mit einem gewaltigen Platscher in seinem schönen Blauen Tief und jagte auf der Suche nach den anderen pfeilschnell davon.

P irra hatte das Platschen auf der anderen Bordseite des Schiffes gehört und stellte sich vor, wie der Delfin ins Meer eintauchte. Dass es ein Delfin war, wusste sie von den Rufen der Fischer. Man hatte ihr nicht erlaubt, ihn zu sehen.
    In dem heißen, stickigen Frachtraum stank es nach Mandeln und Erbrochenem. Sie war zwischen der Fracht eingepfercht und konnte sich kaum rühren. Die Deckplanken befanden sich höchstens eine Handbreit über ihrem Gesicht.
    Panik schnürte ihr die Kehle zusammen, und sie schnappte halb erstickt nach Luft. Wenn das Schiff unterging, würde sie jämmerlich ertrinken.
    Denk nicht daran, die See ist ruhig. Wir sinken nicht.
    Sie umklammerte ihren Siegelstein und lauschte. Die Takelage knatterte, und der hölzerne Schiffsrumpf ächzte. Sie waren schon lange auf See unterwegs, und von dem Rollen des Schiffes von einer Seite zur anderen war ihr irgendwann übel geworden. Sie hatte sich auf einen Leinenballen übergeben müssen. In der Dunkelheit konnte sie kaum etwas erkennen, hoffte aber, dass sie das Prunkleinen ihrer Mutter erwischt hatte. Das geschah ihr ganz recht. Wie hatte sie nur den Befehl geben können, ihre Tochter in den Frachtraum einzuschließen?
    Pirra hatte das Meer noch nie gesehen, und nach dem Willen der Hohepriesterin wäre es auch dabei geblieben. Ihre Mutter hatte sie deshalb gestern von Userref mit verbundenen Augen an Bord tragen lassen. Ehe sie in den Frachtraum gesperrt wurde, hatte Userref jedoch für einen Augenblick das Verbot missachtet und ihr die Binde abgenommen, damit sie einen kurzen Blick auf das Meer werfen konnte.
    Pirra war inmitten von Darstellungen des Meeres, die die Wände ihres Zimmers schmückten, aufgewachsen: blaue Wellenlinien und dottergelbe Sonnenstrahlen verliefen dort fein säuberlich im Zickzackmuster, lächelnde Delfine stöberten akkurat gezeichnete kleine Fische auf und Tintenfische mit großen runden Augen schwebten am Meeresgrund zwischen Seegurken und knittrigem Seegras entlang.
    Das wirkliche Meer hingegen sah vollkommen anders aus. Pirra hätte sich nie träumen lassen, dass es derart wild und unermesslich sein könnte.
    Bisher kannte sie die Welt da draußen nur vom Hörensagen, denn sie hatte ihre gesamte Kindheit im Tempel der Göttin verbracht. Die Tempelanlage, die sich über eine ganze Hügelflanke erstreckte, umfasste eine Flucht von Zimmer, Höfen, Vorratsräumen, Küchen und Werkstätten. Überall schwärmten Menschen wie geschäftige Bienen umher. Daher nannte Pirra die Tempelanlage auch den steinernen Bienenstock . Den sie nie hatte verlassen dürfen.
    Pirras Zimmer lag an einem schattigen Durchgang und bot keine Aussicht, aber manchmal gelang es dem Mädchen, den Sklaven zu entwischen. Dann lief sie in den Großen Hof und die Stufen hinauf zur oberen Terrasse. Von hier aus blickte man über Olivenhaine und Weinberge, Gerstenfelder und Wälder hinweg bis zum großen Berg des Erderschütterers mit dem gezinkten Gipfel.
    Wenn du erst einmal zwölf Jahre alt bist, hatte sie sich stets gesagt, kommst du hier heraus. Du wirst einen eigenen Wagen besitzen, diese Berge besteigen und einen Hund haben.
    Diese Überzeugung hatte ihr Dasein erträglich gemacht. Yassassara hatte es ihr versprochen: Mit zwölf Jahren würde sie frei sein.
    In der Nacht vor ihrem zwölften Geburtstag hatte sie vor Aufregung nicht schlafen können.
    Am nächsten Morgen erfuhr sie dann die Wahrheit.
    »Aber du hast es mir versprochen!«, hatte sie ihre Mutter angeschrien. »Du hast gesagt, mit zwölf Jahren würde ich frei sein!«
    »Nein«, hatte Yassassara gelassen erwidert. »Ich habe dir versprochen, dass du diesen Ort verlassen darfst, und genauso ist es auch. Du segelst heute noch nach Lykonien und wirst dort verheiratet.«
    Pirra hatte getobt, um sich geschlagen und geschrien, aber insgeheim hatte sie gewusst, dass ihr Protest nutzlos war. Der Wille der Hohepriesterin Yassassara war unbeugsam wie Granit. Sie herrschte seit siebzehn Jahren über Keftiu und war bereit, alles zu opfern, damit die Insel mächtig blieb. Auch die eigene und einzige Tochter.
    Schließlich war Pirra verstummt. Verdrossen schweigend hatte sie sich von den Frauen in ein scharlachrotes, mit Gold geschmücktes Leinengewand kleiden lassen, und als Userref eintrat, hatte sie

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