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Gods and Warriors - Die Insel der Heiligen Toten: Band 1 (German Edition)

Gods and Warriors - Die Insel der Heiligen Toten: Band 1 (German Edition)

Titel: Gods and Warriors - Die Insel der Heiligen Toten: Band 1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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traf, absichtlich immer nur sein zweitbestes Messer mitnahm, um mit seinem Bronzedolch nicht allzusehr aufzufallen.
    Besorgt zupfte sich sein Vater den Bart. »Es steht viel schlimmer, als du ahnst«, sagte er und seufzte tief. »Als Bauer kann man sein ganzes Leben im Dorf verbringen, ohne sich darum zu kümmern, was draußen vor sich geht, aber für uns als Anführer ist das ausgeschlossen, Telamon.« Seine Miene verfinsterte sich. »Jahrelang ist es mir gelungen, Lykonien aus allem herauszuhalten, was in Achäa geschieht. Aber nach den jüngsten Ereignissen ist das nicht mehr möglich.«
    »Was meinst du?«, fragte Telamon.
    Sein Vater sah ihm kurz in die Augen und wandte dann den Blick ab.
    Plötzlich war Telamon alarmiert. Zum ersten Mal hatte er im Blick seines Vaters Furcht erkannt.
    »Vater, es tut mir leid«, platzte er heraus. »Ich weiß nicht, wovon du sprichst, aber ich stehe an deiner Seite.«
    Thestor erhob sich und schloss die Hand um die Peitsche. Dann befahl er seinem Sohn, den Rücken zu entblößen. »Mir tut es auch leid«, sagte er.

    Bei Sonnenuntergang entdeckte Hylas ein verlassenes Fischerfloß am Ufer. Seine Stimmung stieg. Darauf konnte er sich vom Fluss bis zum Meer tragen lassen.
    Auf dem Bauch liegend, paddelte er mit den Händen und zu seiner Erleichterung begegnete er keiner Menschenseele, obwohl jenseits des Schilfs einmal die Feuer eines Dorfes aufleuchteten. Hylas malte sich aus, wie die Bewohner zusammengedrängt hinter den geschlossenen Geisterpforten Schutz vor den Krähen suchten. Gab es hier in den Dörfern des Flachlandes überhaupt Geisterpforten? In den Bergen hieß es immer, die Flachländer würden schwarze Gerste anbauen und hätten keine Zehen …
    Unwillkürlich zog er den Bronzedolch aus dem Vorratsbeutel. Mit dem in der Hand fühlte er sich gleich viel stärker. Inzwischen war es zu dunkel, um eine Scheide anzufertigen. Hylas begnügte sich damit, dünne Borkenstreifen von einer Weide zu schneiden, die er zu einer Schnur zusammendrehte und damit den Dolch versteckt unter der Tunika an seinem Oberschenkel festband.
    Mit einiger Überwindung befestigte er auch die Locke des Keftiu an seinem Gürtel. Es widerstrebte ihm, das Haar des Toten zu berühren. Aber falls sein Vorratsbeutel mit der Locke darin in den Fluss fallen sollte, würde es ihm noch schlimmer ergehen. Dann wären ihm auch noch erzürnte Geister auf den Fersen.
    Hylas umfasste den Rand des Floßes und spähte in die Dunkelheit, während der leise glucksende Fluss ihn langsam zum Meer trug.
    Das Meer wird alle deine Fragen beantworten!, hatte der Keftiu gesagt.
    Bisher hatte Hylas das Meer nur von Weitem gesehen. Von den Bergen aus wirkte es wie ein graublauer Klecks. Als er noch ein kleiner Junge war, hatte sich Paria, Neleos’ Gefährtin, einen Spaß daraus gemacht, ihm mit Schauergeschichten über Ungeheuer, die in den Tiefen des Meeres hausten, Angst einzujagen. Sie hatte ihm das Meer gründlich verleidet.
    Mit der einbrechenden Dunkelheit zeigten sich die Geschöpfe der Wildnis. Eine Viper, deren spitz zulaufender Kopf im Mondlicht glänzte, schwamm vorüber. Eine am Ufer trinkende Löwin hob die tropfende Schnauze, als das Floß vorüberglitt. Eine Wassergeistfrau huschte wie ein Schatten durchs Schilf. Mit silberfarbenen Augen blickte sie durch ihn hindurch, als existierte er nicht.
    Hylas fragte sich plötzlich, welche Macht es sich wohl zur Aufgabe gemacht hatte, ihn und seine Schwester aus den Bergen zu vertreiben.
    Bisher hatte er selten über die Großen Götter nachgedacht. Sie waren weit entfernt und scherten sich wenig um Ziegenhirten. Hatte er womöglich eine Gottheit gegen sich aufgebracht? Den Himmelsvater oder den Erderschütterer oder die Herrin der Wildnis? Oder einen jener schattenhaften Unsterblichen, deren wahre Namen niemand aussprechen durfte: Die Erzürnten, die Jagd auf alle machten und ihre eigenen Blutsverwandten ermordet hatten? Oder die Grauen Schwestern, die spinnengleich in ihrer Höhle hockten und ihre Netze woben, in denen jedem Lebewesen ein Faden zugeordnet war?
    Welche dieser Gottheiten hatte beschlossen, dass er selbst leben und Skiros sterben sollte?
    Und was war mit Issi?
    Glühwürmchen schwirrten vorbei und malten goldene Leuchtspuren ins Dunkel. Im Schilfrohr hockte ein Frosch, der so viele Leuchtkäfer verspeist hatte, dass sein Bauch grünlich schimmerte.
    Frösche waren Issis Lieblingstiere. Einmal hatte er einen solchen Leuchtfrosch für sie gefangen und in

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