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Gods and Warriors - Die Insel der Heiligen Toten: Band 1 (German Edition)

Gods and Warriors - Die Insel der Heiligen Toten: Band 1 (German Edition)

Titel: Gods and Warriors - Die Insel der Heiligen Toten: Band 1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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war völlig trocken. Sie starrte auf den Finger.
    Hatte dieser Steinarm gerade gezuckt? Hatte sich der Kopf mit einem Ruck befreit und drehte sich mit blinden, zornigen Augen zu ihr um?
    Sie glaubte an den Höhlenwänden düstere Formen zu erkennen, schattenhafte Gestalten, die sich vor dem Licht verbargen. Das Flüstern schwoll an, die Schatten regten sich.
    Wimmernd kroch sie schneller voran, spürte hinter sich die entsetzliche Gier der hungrigen Toten.
    Endlich hatte sie den Lichtkeil erreicht. Ihre letzte Hoffnung erlosch. Der Spalt in der Höhlendecke war so schmal, dass nicht einmal ihre Faust hindurchpasste. Der Eingang zur nächsten Höhle war mit Steinbrocken versperrt.
    Die hungrigen Geister seufzten. Wir wissen, was das heißt … oh, wir wissen es.
    Pirra brach zusammen und presste das Gesicht gegen den Stein.
    Haben sie das genauso erlebt?, fragte sie sich. Waren sie tot, als sie zu Stein wurden – oder lebten sie noch?
    Sie stellte sich vor, wie es sein musste, wenn die Füße sich in kalten Stein verwandelten, die Beine steif wurden, wie sich Nase und Mund verklebten …
    Panik drohte sie zu überwältigen. Sie ballte die Fäuste.
    »Du bist die Tochter der Hohepriesterin«, sagte sie streng. »Du gibst nicht auf.«
    Ein rasselndes Seufzen ertönte, und die Geister zogen sich in die Schatten zurück.
    »Du gibst nicht auf!«, wiederholte sie.
    Obwohl Pirra ihre Mutter hasste, hatte der Gedanke an sie etwas Beruhigendes. Hohepriesterin Yassassara war eine besondere Frau. Sie hatte ihr Leben der Göttin geweiht und niemals Liebe für ein Lebewesen empfunden. Aber sie war stark. Vielleicht floss etwas von dieser Stärke auch durch die Adern ihrer Tochter.
    Pirra richtete sich in eine kniende Position auf und sah sich aufmerksam um.
    Die Entschwundenen rührten sich nicht mehr. Ringsumher war nur Gestein.
    Der Stein vor ihrem Knie sah aus wie eine Tritonschnecke.
    Sie streckte zitternd die Finger aus. Es war tatsächlich eine Tritonschnecke. Sie hielt das gewundene Gehäuse, in dem die Schnecke gelebt hatte, in der hohlen Hand und zeichnete die Spiralen bis zum Ende nach. Diese hier war keine echte Tritonschnecke, sondern eine kunstvolle Nachbildung aus Marmor.
    Im Tempel der Göttin gab es die gleiche Figur, allerdings aus weißem Alabaster geschnitzt und überaus kostbar. Nur ihre Mutter durfte sie berühren. Sie wurde zur Zeremonie der Ersten Gerste benutzt und manchmal, wenn Yassassara in Notzeiten die Götter um Rat befragte, legte sie die Spitze des Gehäuses an den Mund und blies sanft hinein.
    Die Marmorschnecke in Pirras Händen war bis auf eine winzige Kerbe am Rand unversehrt. Sie stammte mit Sicherheit aus Keftiu, und dieses Zeichen aus ihrer Heimat gab ihr neue Kraft. Sie wagte jedoch nicht, in die Öffnung zu blasen. Womöglich brachte sie damit die Höhle endgültig zum Einsturz.
    Die Tritonschnecke fest in der Hand, fing sie an, die aufgeschütteten Steine, die den Weg blockierten, genauer zu untersuchen. Es ließ sich kein Spalt finden. »Dann mache ich mir eben selbst einen«, murmelte sie.
    Sie entfernte einen kleinen Stein und legte ihn hinter sich, dann den nächsten und wieder einen. Sie arbeitete zusehends rascher und rollte die schweren Steine beiseite. Das Klappern des Gerölls übertönte bald das Seufzen der hungrigen Geister. Pirra kam es so vor, als hielte sie die Geister mit dem allmählich wachsenden Steinhaufen in Schach.
    Schließlich hielt sie inne und schnappte gierig nach Luft. Mit der Spitze der Tritonschnecke klopfte sie vorsichtig auf die Steine und lauschte aufmerksam nach Hohlstellen.
    Nichts.
    Sie klopfte abermals.
    Da ertönte plötzlich auf der anderen Seite der Steine ein Klopfen. Eine Antwort!

P irra!« Hylas spitzte die Ohren.
    Wieder klopfte es hinter der Steinwand, dann folgte ein Wasserfall klickender Laute, die an Falkenrufe erinnerten. Hylas sackte vor Erleichterung beinahe zusammen. »Pirra, ich bin’s. Ich verstehe kein Wort, du musst in meiner Sprache reden.«
    Überraschte Stille, dann ein ungläubiges: »Hylas?«
    »Bist du verletzt?«
    »Bloß eine Beule an der Stirn. Und du?«
    Er schüttelte den Kopf, rief dann aber, als ihm einfiel, dass sie ihn nicht sehen konnte: »Nein.«
    Hastig fing er an, Steine beiseitezuschaufeln, und hörte, wie sie auf der anderen Seite das Gleiche tat.
    Während sie arbeiteten, erzählte er ihr, wie er sie gefunden hatte: dass er sich erfolgreich durch eine Steinlawine gegraben, sich anschließend aber in den

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