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Gods and Warriors - Die Insel der Heiligen Toten: Band 1 (German Edition)

Gods and Warriors - Die Insel der Heiligen Toten: Band 1 (German Edition)

Titel: Gods and Warriors - Die Insel der Heiligen Toten: Band 1 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Paver
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umfloss die Schlangen an den schimmernden Füßen der Göttin und einen Augenblick kam es Pirra so vor, als hätte sich eine der Schlangen bewegt.
    Gemeinsam näherten sie sich der Wächtersäule, die sie emporklettern wollten. Pirra konnte vor Anspannung kaum atmen. Dieser schmale, hohe Fels war unregelmäßig geformt und glänzte wie feuchtkalte Haut. Sie malte sich aus, wie sich ein Gliedmaß aus dem Stein lösen und sich in einer tödlichen Umarmung um sie legen würde.
    Hylas hatte die Finger bereits verschränkt. »Los, du zuerst! Hoch mit dir!«
    Er schob sie so weit nach oben, dass sie den Wächter nur flüchtig streifte. An der Öffnung fand sie Halt an einem kleinen Sims und hielt inne, leicht benommen von der Helligkeit. Befand sich dort nicht ein weiterer Vorsprung, genau in Reichweite? Erstaunt bemerkte sie, dass sogar ein Haken in den Stein gehämmert war, dem weitere Haken und Vorsprünge folgten. Vielleicht waren sie angebracht worden, damit Priesterinnen vergangener Zeiten in die Höhle gelangen konnten.
    »Hier oben sind so was wie Klettersprossen!«, flüsterte sie hinunter zu Hylas.
    Er stand reglos vor der Göttin und gab keine Antwort.
    »Hylas, beeil dich!«
    Als er kurz zu ihr aufblickte, war sie überrascht von seiner entschlossenen Miene.
    »Geh voran«, sagte er ruhig. »Ich muss zuerst noch etwas herausfinden.«
    »Was meinst du? Was hast du vor?«
    »Ich – ich muss Sie unbedingt etwas fragen.«
    Zu ihrem Entsetzen trat er dicht an die Göttin heran und kniete vor Ihrer mondweißen Gestalt nieder. Er berührte Ihr Knie mit dem Zeigefinger, legte den Finger an seine Lippen und leckte daran.
    Dann hob er den Kopf und fragte: »Ist Issi noch am Leben?«

    »Ist Issi noch am Leben?«, sagte Hylas und die Wände warfen das Echo seiner Stimme zurück. Am Leben? … Leben?
    Seine Fingerspitze prickelte an der Stelle, wo er die Göttin berührt hatte. Seine Zunge schien zu brennen. Das leise Lied des Wassers erklang kaum hörbar in seinem Schädel.
    Plötzlich verstummten alle Geräusche und ihm war, als würde sich sein Brustkorb öffnen. Er spürte ein Ziehen, als habe sich ein Lichtstrahl in seinem Herzen verhakt, der ihm das Herz aus dem Körper zerren wollte.
    Hylas war seltsam zumute, und er nahm alles mit gesteigerter Deutlichkeit wahr: das kalte blaue Feuer des Teichs, in dessen Tiefe er Ströme rauschen hörte; Fische, die am Boden des Teiches knabberten; die rasch aufblitzenden Bewegungen der Wassergeister weit unten mit seegrünem Haar und silbernen Gliedern. Von oben drang durch den Spalt der Moschusgeruch der wilden Tiere herein, die die Insel bewachten, und er spürte den kühlen Salzatem der Herrin der Wildnis auf seiner Haut …
    Der Wassergesang durchdrang ihn, und jetzt ordneten sich die wirren Töne wie Seegras in der Strömung. Die Stimme der Göttin atmete in ihm. Deine Schwester lebt …
    Hylas taumelte.
    Langsam hob er den Kopf und legte schützend den Arm vor die Augen. Die Marmorgöttin erstrahlte in lichtem Glanz.
    »G-geht es ihr gut?«, stammelte er. »Werde ich sie finden? Warum verfolgen mich die Krähen?«
    Unsterbliches Gelächter erfüllte die Höhle. Du suchst die Wahrheit … Sieh dich vor … die Wahrheit schmerzt.
    Der Lichtstrahl in seinem Herzen löste sich mit einem Ruck.
    Hylas erschauerte. Er war wieder auf dem Knochenhügel und hörte das Wasser rauschen.
    »Hylas!«, rief Pirra. »Pass auf!«
    Auf dem Haufen mit den Opfergaben rührte sich etwas. Muscheln klapperten und Knochen rollten beiseite, als ein langer, dünner Schatten auf ihn zuglitt. Eine der Steinschlangen war zum Leben erwacht.
    Hylas richtete sich schwankend auf.
    Die gespaltene Schlangenzunge zuckte vor und nahm witternd seinen Geruch auf. Er wich stolpernd zurück. Dann schlug sie blitzschnell zu, scharfe Zähne ritzten seine Wade, während er sich zur Seite warf. Er wollte das Messer zücken – doch das Heft hing in der Lederhülle fest. Die Schlange züngelte abermals auf ihn zu, und er nahm einen Knochen und schlug sie damit auf den flachen Schädel, woraufhin sie zischend zurückwich.
    Durch die Knochen watend eilte Hylas zu dem Steinwächter hinüber und hangelte sich nach oben. Die Schlange zischte böse und wand sich am Fuß der Säule hoch, musste aber bald aufgeben.
    »Los, kletter weiter«, rief er Pirra keuchend zu, die sich als schwarzer Umriss vor der hellen Öffnung abzeichnete.
    Die Angst verlieh Hylas Flügel und er zog sich an Haken und Vorsprüngen empor, bis seine

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