Godspeed Bd. 1 - Die Reise beginnt
wütend?« Meine Hände umklammern die Tischkante und ich fühle das glatte, harte Holz unter den Fingern. Ich frage mich, ob ich wohl stark genug bin, den Tisch umzuwerfen und den Ältesten darunter zu begraben.
»Du bist wütend? Wieso?«
»Weil das nicht richtig ist! Sie können den Leuten nicht die Gefühle wegnehmen! Sie können nicht eine Emotion abtöten, ohne sie alle zu töten! Sie sind der Grund dafür, dass die ganzen Versorger so geistlos sind! Sie und diese Droge!«
»Nicht jeder ist betroffen.«
»Das Zeug ist im Wasser!«, schreie ich ihn an und schlage mit der Faust auf den Tisch. »Wir alle trinken das Wasser!«
Der Älteste nickt. »Aber wir können dieses Schiff nicht von willenlosen Idioten bedienen lassen. Wir brauchen Versorger, die widerspruchslos unsere Nahrung produzieren, aber gleichzeitig brauchen wir auch Leute wie dich, die klar denken können.«
»Das Krankenhaus …«, sage ich und überlege fieberhaft. »Alle von uns, die ›verrückt‹ sind. Wir sind überhaupt nicht verrückt – wir werden nur nicht vom Phydus im Wasser beeinflusst. Aber wie …« Bevor der Älteste etwas sagen kann, dämmert es mir. »Die Psycho-Pillen – natürlich! Sie verhindern, dass Phydus bei uns wirkt.«
»Wir brauchen kreative Denker«, sagt der Älteste. »Du musst ebenso klar denken können wie die Wissenschaftler, die an unserem Treibstoffproblem arbeiten. Wir sorgen für die Gene – du hast die DNA-Replikatoren gesehen –, und dann geben wir denen mit den angeborenen Fähigkeiten die Psycho-Pille, damit Phydus bei ihnen nicht wirkt. Wir brauchen sie bei klarem Verstand.«
»Wieso Künstler?«, frage ich und muss an Harley, Bartie und Victria denken.
»Künstler erfüllen einen Zweck. Sie dienen der Unterhaltung der Versorger. Sie haben zwar keine Gefühle, aber auch Affen wird irgendwann langweilig. Außerdem denken manche der Künstler auch außerhalb ihrer DNA-Modifizierung. Wir sehen uns einem Antriebsproblem gegenüber, das trotz jahrzehntelanger Forschung noch nicht gelöst werden konnte. Wir wissen nicht, wie die Kreativität zutage tritt. Dein Freund Harley? Er wurde mit räumlicher und visueller Kreativität ausgestattet. Er wurde Maler – aber mit dem nötigen Ehrgeiz hätte er ebenso leicht Ingenieur werden können.«
»Wir sind doch alle nur Schachfiguren. Ein Mittel zum Zweck. Spielzeuge, die Sie produzieren, um Ihr Spiel zu spielen.«
»Dieses Spiel nennt sich Leben , du Dummkopf!«, fährt der Älteste mich an. »Verstehst du das nicht? Wir versuchen nur zu überleben! Ohne die Paarungszeit hätten die Leute nichts, wofür es sich zu leben lohnt. Ohne Phydus würden sie in blinder Wut das Schiff in Stücke reißen. Ohne die DNA-Modifizierung wären wir ein Haufen inzuchtgeschädigter Schwachköpfe. Wir brauchen das alles zum Überleben!«
»Und was, wenn einer der ›hirnlosen‹ Versorger in der Lage wäre, das Antriebsproblem zu lösen?«, frage ich. »Und Sie ihn mit Phydus so betäubt haben, dass er nicht mehr denken kann? Warum lassen Sie sie nicht alle denken und zusammen an dem Problem arbeiten?«
Der Älteste mustert mich mit gerunzelter Stirn. »Hast du deine Lektionen vergessen? Was sind die drei Ursachen für Unfrieden?«
»Erstens: Unterschiede«, sage ich automatisch. Eigentlich will ich sein Spiel nicht spielen, aber es ist eine Gewohnheit, ihm sofort zu antworten.
»Und?«
»Mangelnde Führung.« Jetzt will ich wirklich wissen, worauf er hinauswill.
»Und drittens?«
Ich seufze. »Abwegige Gedanken.«
»Ganz genau. Phydus verhindert eigenständiges Denken – nur nicht bei denen, die wir speziell entworfen haben, damit sie uns helfen. Das ist unsere beste Chance.«
Der Älteste beugt sich über den Tisch und trommelt mit den Fingern auf das Holz, bis ich ihm in die Augen sehe. »Es ist überaus wichtig, dass du das verstehst«, sagt er eindringlich. »Es ist unsere beste Überlebenschance.«
Er zögert.
»Es ist unsere einzige Chance.«
65
Amy
»Was passiert hier?«, frage ich entsetzt.
Der Doktor wirft einen kurzen Blick auf Steelas reglosen Körper. »Ach, das.«
»Das? Das ?«, schreie ich. »Das war gerade eben noch ein Mensch! Was haben Sie getan?«
Der Doktor geht ums Bett herum und tippt gegen einen der Infusionsbeutel. »Hier drin ist eine sehr hohe Konzentration Phydus. Es ist eine Droge«, fügt er noch hinzu, bevor ich fragen kann. »Eine, die Menschen passiv macht.«
Ich denke an Filomina, an Steelas Tochter, an mich
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