Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Godspeed Bd. 1 - Die Reise beginnt

Godspeed Bd. 1 - Die Reise beginnt

Titel: Godspeed Bd. 1 - Die Reise beginnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beth Revis
Vom Netzwerk:
habe ich viel Zeit in diesem Garten verbracht. Steela, eine alte Frau, die lange vor meiner Zeit auf der Station gelebt hat, hat aus dem langweiligen, von Hecken gesäumten Rasen einen echten Urwald mit Blumen, Gemüse, Ranken und Bäumen gemacht.
    »Suchst du Inspiration?« Mit einer Kopfbewegung deutet Doc auf die Statue inmitten des Gartens.
    Dort steht der Seuchen-Älteste, mit erhobenem Betongesicht und ausgebreiteten Armen. Die Zeit und die Beregnung haben sein Gesicht und seine Hände geglättet und somit die Details unseres größten Anführers verschwinden lassen.
    »Oh! Äh … ja.« Ich nutze die Gunst der Stunde. »Der Älteste will, dass ich Führungsqualitäten entwickle, und ich dachte, der Seuchen-Älteste hat den besten Job gemacht …« Der Seuchen-Älteste war der erste der Ältesten. Er ist der einzige Mensch, den mein Ältester jemals bewundert hat, und er war ein größerer Anführer als einer von uns beiden es jemals sein wird.
    »Du bist extra hergekommen, um die Statue zu betrachten?«
    Ich seufze. »Ich wollte sie sehen.«
    »Sieh zu, dass daraus keine Besessenheit wird, Junge. Das ist nicht gut, für niemanden. Sie ist eingefroren, und sonst nichts.«
    »Ich weiß, aber …«
    »Kein aber. Schlag sie dir aus dem Kopf.«
    Ein lauter dumpfer Warnton erklingt. Urk. Urk. Urk. Er kündigt den Sonnenuntergang an. Ein grüner Lichtblitz lenkt meine Aufmerksamkeit auf die andere Seite des Decks, wo die Techniker aus dem mittleren Deck die Schwerkraftröhre benutzen, um von der Arbeit in die Stadt auf dem Versorgerdeck zu gelangen. Von hier aus betrachtet sind sie nur kleine Farbflecken, die durch die Röhre sausen: braun, weiß, schwarz, grün. Doc schaut zum Himmel. Das dort oben ist nicht die Sonne, sondern ein Trägheitsreaktor, eine Solar-Beleuchtungseinheit, die das Deck mit Licht und Wärme versorgt und den Treibstoff für die inneren Funktionen des Schiffs erzeugt. Sie blinkt einmal, um uns mitzuteilen, dass die Nacht hereinbricht – und dann gleiten die getönten Schilde über die Einheit. Jetzt ist unsere Welt dunkel. Wir nennen es Sonnenuntergang, ein Wort, das noch von der Sol-Erde stammt, aber im Grunde ist es nur ein Abschalten des Lichts. Es gibt keine unterschiedlichen Farbtöne in diesem Sonnenuntergang.
    »Komm, Junge«, sagt Doc und steuert mich mit dem Arm um meine Schultern den Gartenweg entlang. »Du musst zurück zur Schwerkraftröhre, bevor der Älteste merkt, dass du verschwunden bist.«
    »Aber …«
    »Die Türen sind alle verschlossen, auch die im vierten Stock. Komm jetzt. Es bringt nichts, wenn du dauernd an sie denkst.«
    Ich wende mich ab und lasse zu, dass mich Docs Worte von meinen Gedanken an das Mädchen mit dem Sonnenuntergangshaar ablenken. Der Älteste hat mir von alten Religionen erzählt, bei denen die Menschen die Sonne angebetet haben. Das habe ich nie verstanden – schließlich ist sie nur ein Ball aus Licht und Hitze. Aber wenn die Sonne der Sol-Erde einen solchen Reichtum an Farben und Licht zu bieten hatte wie die Haare dieses Mädchens, kann ich mir vorstellen, wieso die Menschen sie verehrt haben.
    Der Gartenpfad wirkt in den Schatten der Dunkelzeit irgendwie unheimlich. Docs Arm umfasst meine Schultern plötzlich fester und seine Finger krallen sich in meinen Arm. »Wer ist das?«
    Ich starre in die Dunkelheit. Ein Stück weiter vor uns geht ein Mann den Pfad hinunter. Als er am Archiv ankommt, springt er fast ausgelassen die Stufen hinauf. Sein Pfeifen – es ist ein alter Kinderreim von der Sol-Erde – dringt zu uns herüber.
    »Das ist bestimmt Orion«, sage ich. Nur ein Archivar kennt Lieder von der Sol-Erde. Doch Docs Griff an meinem Arm lockert sich nicht. »Ein Archivar.«
    »Derselbe Archivar, der dir die Blaupausen des Schiffs gezeigt hat?«
    Mein Kopf fährt herum. Doc starrt noch immer Orion an, der auf der Veranda des Archivs steht und uns nicht bemerkt hat. Ich reiße mich aus Docs Klammergriff los.
    »Woher wissen Sie, dass mir ein Archivar die Blaupausen gezeigt hat?«
    Doc schnaubt, doch er wendet den Blick nicht ab. »Allein hättest du sie niemals gefunden.«
    »Hallo!«, ruft der Mann von der Veranda, als uns der Pfad näher ans Archiv führt. Seine tiefe Stimme bestätigt, dass es Orion ist.
    »Hi!«, rufe ich zurück.
    »Bisschen kühl heute Abend, nicht wahr?«, sagt Orion, auch wenn ich nicht verstehe, warum er diese Tatsache erwähnt. Die Temperatur wird gewöhnlich um zehn Grad gesenkt, wenn die Dunkelzeit beginnt,

Weitere Kostenlose Bücher