Godspeed Bd. 1 - Die Reise beginnt
aber es ist noch zu früh, um es zu spüren.
Doc ist wie angewurzelt stehen geblieben und sein Gesicht ist kreideweiß. »Bist du sicher , dass das nur ein Archivar ist?«
»Klar«, sage ich. »Das ist Orion.«
Doc atmet erleichtert auf. »Seine Stimme erinnert mich an jemanden, den ich mal kannte. Ich weiß gar nicht mehr, wann ich das letzte Mal im Archiv war. He, Orion!«, ruft Doc ihm zu. »Können wir in die Halle?«
Aber Orion gibt keine Antwort.
Aruu! Aruu!
»Das ist der Alarm des Kryo-Decks«, murmelt Doc und wirbelt herum zum Krankenhaus, von dem eine Sirene ihren Warnton in die Nacht schrillt. »Da stimmt was nicht!«
Ich rase den Pfad entlang, als wäre mir die Leere des Alls auf den Fersen; beinahe hätte mich der rutschige Plastikkies zu Fall gebracht. Hinter mir höre ich Doc rennen und fluchen. Die Schwestern in der Eingangshalle sehen sich panisch um, weil sie nicht wissen, was der Alarm zu bedeuten hat, aber Doc und ich ignorieren ihre hektischen Fragen und hechten in den Fahrstuhl.
Doc ist ganz außer Atem, während wir langsam in den dritten Stock fahren. Er hebt die Hand zum linken Ohr.
»Warten Sie noch«, sage ich und ziehe seine Hand von der Dra-Kom weg. »Lassen Sie uns erst nachsehen, was los ist, bevor Sie dem Ältesten Meldung machen. Vielleicht ist es nichts Ernstes.«
In der Stille, die auf meine Worte folgt, höre ich den gedämpften Alarm, der immer leiser wird, je höher wir kommen.
Doc schüttelt meine Hand ab. Als der Fahrstuhl hält, gleiten die Türen auf.
Die Tür am Ende des Flurs steht offen.
Doc rennt los, den Flur hinunter, und stürmt sofort zum Tisch. Er drückt den Daumen auf den biometrischen Scanner der Metallbox in der Mitte des Tischs. Nichts passiert.
»Verdammt«, flucht er. »Scanne dich ein«, verlangt er und schiebt mir die Box hin.
»Aber …«
»Diese Box öffnet sich nur mit einer Sicherheitsfreigabe vom Junior oder dem Ältesten. Wenn der Alarm nicht abgestellt wird, schließen sich die Schotten des Krankenhauses. Also mach schon.«
Ich drücke den Daumen auf den Scanner. Der Deckel der Box hebt sich und klappt selbsttätig ein. Darunter kommt ein Schaltkasten mit nummerierten Knöpfen und einem blinkenden roten Licht zum Vorschein. Doc tippt einen Code ein und der Sicherheitsalarm verstummt.
Er hastet zum zweiten Fahrstuhl, scannt sich ein und drückt den Knopf für das unterste Deck, noch bevor ich neben ihm angekommen bin. Er ist außer Atem und pocht nervös mit dem Fuß auf den Boden, während wir abwärtsfahren. Auf dem ganzen Weg nach unten sagt er kein Wort. Er ballt nur immer wieder die Fäuste. Sein Gesicht ist angespannt.
Nachdem der Fahrstuhl unten angekommen ist, gleiten die Türen auf, aber wir bleiben beide noch einen Moment in der Kabine, weil wir nicht wissen, wer oder was uns auf dem Deck erwartet.
Alle Lichter brennen. Doc verlässt zögernd den Fahrstuhl. Seine Hände sind zu Fäusten geballt.
»Neinnein nein «, stößt er plötzlich hervor und rennt los. Ich sprinte hinter ihm her. Vor der Reihe mit den vierziger Nummern kommt Doc schlitternd zum Stehen.
Nummer 42 ist aus ihrem Kühlfach in der Wand gezogen worden. Ihr Glaskasten steht jetzt auf dem Tisch in der Mitte des Gangs.
Darin liegt das Mädchen mit dem Sonnenuntergangshaar. Ihre Augen sind offen – sie sind hellgrün wie frische Grashalme – und in Panik. Sie schlägt in dem mit blauen Kristallen durchsetzten Wasser wild um sich. Jetzt, wo sie wach ist und sich bewegt, ist die Box viel zu klein für sie; ihre Knie und Ellbogen schlagen heftig gegen das Glas. Ihr Körper bäumt sich auf – ihr flacher Bauch presst gegen den Deckel, ihr Kopf und ihre Füße schlagen auf den Boden. Ihre Hände fahren hoch zu ihrem Gesicht, und dann sehe ich, dass sie sich die Schläuche aus dem Mund zieht und würgen muss.
»Los, schnell!«, schreit Doc. »Wir müssen den Deckel abnehmen, bevor sie die Schläuche rauszieht!«
Ich frage nicht nach dem Grund, sondern renne nur auf die andere Seite und helfe, den schweren Glasdeckel abzuheben. Im Innern der Box umgeben die Schläuche den Kopf und den Hals des Mädchens. Sie zerrt daran und der eine Schlauch steckt immer noch in ihrem Hals. Sie muss würgen und gelbe Gallenflüssigkeit und hellrotes Blut trüben das Wasser um ihr Gesicht.
Mit vereinten Kräften hieven Doc und ich den Deckel von der Box. Doc wirft sich nach hinten, reißt mir den Deckel aus den Händen und lässt ihn auf den Betonboden fallen. Dort
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